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"Die Hilfsorganisationen sind Zeugen."

Interview mit Mohammed Tofik, Minister für Humanitäre Angelegenheiten, Kurdistan/Irak, September 1994

Wie ist die neue Situation an der irakisch/türkischen Grenze?

Anfang September hat die Türkei die Grenze wieder offiziell für Lastwagen geöffnet, die Lebensmittel nach Mosul, in das von Saddam Hussein kontrollierte Gebiet bringen und mit Benzin zurückkehren. Gleichzeitig ist die Grenze für Ausländer geschlossen worden. Das betrifft Journalisten, Delegationen, aber auch die Mitarbeiter der Hilfsorganisationen. Die Lage ist aber konfus, es sind schon Leute zurück gehalten worden, andere sind durchgekommen. Wir wissen noch nicht, ob das auf eine Blockade abzielt, oder ob die Türkei den Zugang nur kontrollieren und beschränken will.

Was sind die Hintergründe dieser Maßnahme?

Nun, sie sagen, die Ausländer würden nicht der kurdischen Bevölkerung helfen, sondern der PKK. Der eigentliche Grund ist die Bedeutung der Ausländer für Irakisch-Kurdistan. Diese Maßnahme ist nicht gegen die Hilfsorganisationen gerichtet, sie trifft die Bevölkerung hier. Die Hilfsorganisationen unterstützen uns beim Wiederaufbau, bei der Stabilisierung der Lage; die Ausländer können berichten, was in der Region passiert. Deshalb beschränkt die Türkei den Zugang in den Nordirak. Die türkische Grenze ist unsere Lebensader, unser Zugang zur Außenwelt. Davon sollen wir abgeschnitten werden.

Die Außenminister des Irans, der Türkei und Syriens haben wieder, zuletzt im August, gemeinsam die territoriale Einheit des Irak betont. Gibt es einen Zusammenhang?

Am Ende ihrer Treffen müssen sie irgendetwas sagen und darauf können sie sich einigen. Wer ist denn gegen die territoriale Einheit des Irak? Wir auch nicht. Die Kurden haben nie gefordert, den Irak aufzuteilen. Nachdem sich die irakische Verwaltung im Oktober 1991 aus eigenem Beschluß zurückgezogen hatte, mußten wir das Vakuum ausfüllen. Also haben wir eine Wahl durchgeführt und eine Verwaltung eingesetzt. Solange die Lage so bleibt wie jetzt, werden wir die Region auch weiterhin selbst verwalten. Wenn wir Saddam Hussein zurückkehren ließen, kämen mit der Verwaltung auch Armee und Geheimdienste zurück. Das ist natürlich absolut inakzeptabel für uns.

Gibt es die Möglichkeit einer Verhandlungslösung?

Wir haben Verhandlungen nie angelehnt. Als der türkische Vizeaußenminister uns im Juni aufgefordert hat mit Saddam zu verhandeln, weil das die einzige Lösung des Problems sei, haben wir geantwortet, daß die UN-Resolution 688 den Rahmen für eine Verhandlungslösung bilden muß. Dort wird die Achtung der Menschenrechte, ihre Kontrolle durch internationale Institutionen und die Einstellung aller Repressionen gegen die Kurden und andere Bevölkerungsgruppen gefordert. All das würde natürlich das Regime in Baghdat zusammenbrechen lassen. Deshalb haben sie die Resolution 688 auch noch nicht erfüllt. Wir Kurden müssen aber darauf bestehen. Man sollte uns fragen, ob wir uns sicher fühlen.

Die kurdische Regierung ist aber international nicht anerkannt...

Wir sind auch kein Staat, der international anerkannt werden könnte. Wir sind eine regionale Regierung. International behandelt man die kurdische Verwaltung als eine Tatsache, wir sind eben de facto für 3,5 Millionen Menschen verantwortlich. Wir haben nie nach diplomatischer Anerkennung gefragt, weil wir kein souveräner kurdischer Staat werden wollten.

Während des innerkurdischen Konfliktes in diesem Sommer sind eine Reihe internationaler Hilfsorganisationen abgezogen. Hat das nicht Konsequenzen?

Ja, zwei große Organisationen haben Kurdistan verlassen, der ASB und Caritas. Aber ich glaube, der Konflikt war ein Vorwand. Die Entscheidung zu gehen, ist nicht wegen der Lage in Kurdistan gefallen. Andere Organisationen halten die Sicherheitslage immernoch für ausreichend. Das ist wichtig. Es kommen auch neue Organisationen, sie sind zwar vergleichsweise klein, aber ihre Präsenz ist wichtig. Politisch ist das wesentlich für uns. Sie sind die Zeugen, für das, was in dieser Region geschieht.

1988 als die irakische Regierung ihre Giftgasangriffe durchführte, waren keine Ausländer anwesend, um darüber zu berichten. Zuerst hat uns niemand geglaubt. Ich selbst war zu dieser Zeit Pressesprecher der PUK (Patriotische Union Kurdistans) und bin damals nach Europa gekommen. Es war unglaublich; hier in Kurdistan sind die Leute an Giftgas gestorben und dort hat man uns nicht geglaubt. Deswegen ist die Anwesenheit der Hilfsorganisationen so wichtig; dieser Aspekt ist fast wichtiger, als die Hilfsprojekte selbst. Der Wiederaufbau Kurdistans ist eine zu gewaltige Aufgabe, als daß sie von Hilfsorganisationen bewältigt werden könnte. Daran haben wir nie geglaubt. Allein 4500 Dörfer waren ja zerstört.

Der innerkurdische Konflikt der letzten Monate hat erneut die Schwäche der Regierung gezeigt. Sind die Parteien nicht die eigentlichen Ansprechpartner in Kurdistan?

Es stimmt, dieser Konflikt hat viel Schaden für uns angerichtet. Wir haben genau das getan, was unsere Feinde von uns wollten, daß wir es tun. Nur sie haben davon profitiert. Und natürlich wäre es besser, wenn die Hilfsorganisationen nicht nur mit den Parteien, sondern mit der Regierung zusammenarbeiten würden, aber man kann die Parteien nicht ignorieren. Es ist ein Problem, wir verschweigen es nicht. Die Parteien sorgen für die Sicherheit, sie garantieren law and order, weil sie viele Milizen haben. Das ist keine gesunde Situation. Ich würde es auch begrüßen, wenn diese Milizen zugunsten einer öffentlichen Polizei aufgelöst würden, aber dieser Prozeß braucht Zeit. Wir haben nur drei Jahre Erfahrung, drei schwierige Jahre. Wir sollten diesen Zusatnd ändern, doch das geht nicht über Nacht. Auf Provinzebene arbeiten die Organisationen auch alle mit der Verwaltung zusammen, allerdings nicht zentral, über Erbil. Unsere Politik ist es, nicht in die Projekte einzugreifen. Wir geben den internationalen Organisationen Freiraum, jeder Zwang wäre kontraproduktiv. Auch wenn manche Projekte nicht erfolgversprechend sind. Na gut, sie tun ihr bestes.

Die meisten Organisationen konzentrieren sich immer noch auf den ländlichen Wiederaufbau?

Ja, aber die Städte brauchen jetzt mehr Hilfe als die ländlichen Regionen. Die Bauern können sich selbst ernähren, landwirtschaftliche Produkte sind teuer, wenn man sie einkaufen muß. Die Angestellten, Beamten, Lehrer, Ärzte, also alle mit begrenztem Einkommen ohne zusätzlichen Verdienst brauchen Unterstützung. Ihnen geht es ökonomisch am schlechtesten. Das gilt auch für die Collective Towns, die Lager, in die Saddam Hussein die Landbevölkerung umgesiedelt hat. 1991/92 haben wir noch gehofft, daß wir sie mit Hilfe der NGO´s auflösen können, doch wir haben es mit einer härteren Realität zu tun. Diese Lager sind zum Teil vor 15 Jahren gegründet worden und haben mittlerweile ein Eigenleben. Man kann nicht plötzlich die Mentalität der Leute ändern. Das isnd vielleicht keine Bauern mehr, sie sind an das städtische Leben gewöhnt. Dann sind die Familien gewachsen, etwa jeder fünfte aus diesen Lagern geht zurück aufs Land.

Welche Rolle spielt die BRD für Irakisch-Kurdistan?

In der Vergangeheit, und wir hoffen, daß das so bleibt, hat sich Deutschland durchaus positiv zu uns verhalten. Die deutschen Organisationen waren aktiv und hatten relativ große Finanzmittel für ihre Arbeit hier zur Verfügung. Aber seit kurzem haben wir das Gefühl, daß sie nicht ermutigt werden, sich hier weiter zu engagieren. Sondern im Gegenteil, sich zurückzuziehen. Der andere Punkt ist, daß wir von deutschen Parlamentariern gehört haben, die in Baghdad Saddam Hussein besucht haben. Ich meine Hans Stercken, den Vorsitzenden des auswärtigen Ausschusses des Bundestages. So etwas hat auf die Lage hier sicher sehr negativen Einfluß.

Das Interview führten Oliver Marc Piecha und Thomas v. der Osten-Sacken, Mitarbeiter von WADI e.V. im September 94 in Suleymanya. Erschienen in ak 372, 16.11.1994.

 


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