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Talabani besucht Ankara

Ein Friedensfreund


von Thomas v.d. Osten-Sacken, WADI e.V.

Der Einmarsch türkischer Truppen im Nordirak und ihr Bündnis mit der Patriotischen Union Kurdistans (Puk) scheinen weitreichende politische Folgen für die Region zu haben. Während die anglo-amerikanische und nahöstliche Presse schon von einer grundlegenden Veränderung der Lage im kurdischen Nordirak spricht, wird in Deutschland die Entwicklung kaum wahrgenommen.
Vergangene Woche stattete der Vorsitzende der Puk, Jalal Talabani, der Türkei einen offiziellen Besuch ab, um sich dort mit hochrangigen Vertretern aus Politik und Militär zu besprechen. Zuvor hatte er überraschend den Führer der seit Jahren mit der Puk verfeindeten Demokratischen Partei Kurdistans (KDP), Massoud Barzani, getroffen, um über eine Beilegung des seit 1994 dauernden innerkurdischen Konfliktes zu beraten.
Zugleich bestätigte der türkische Premier Bülent Ecevit offiziell die Anwesenheit türkischer Truppen im Nordirak; den türkischen Zeitungen Sabah und Hürriyet zufolge sind insgesamt 10 000 Soldaten in der Puk-Region stationiert. Allerdings wurde dementiert, dass es bislang zu größeren Gefechten mit Einheiten der PKK gekommen sei. Weder die türkische Regierung noch die Puk aber machen ein Hehl daraus, dass es ihnen um die völlige militärische Ausschaltung der PKK geht. Diese hatte sich 1999 nach einem einseitigen Waffenstillstand mit der Türkei mit mehreren Tausend Bewaffneten in die Puk-Region zurückgezogen.
Der türkischen Regierung kommt das Bündnis mit der Puk sehr gelegen. Vor dem Hintergrund eines möglichen EU-Beitritts drängt die Lösung der Kurden-Frage, wobei Ankara einen friedlichen Kompromiss mit der PKK kategorisch ablehnt. Die Rolle einer militärisch und ökonomisch intervenierenden Schutzmacht scheint der türkischen Regierung aber auch aus anderen Gründen vorzuschweben. So jubelte die regierungsnahe Turkish Daily News am 10. Januar, dass sich nun über die "exzellenten Beziehungen zu Barzani und Talabani (...) der ökonomische Einfluss in der Region ausbauen und der Hinterhof der Türkei stärken lässt". Talabani, der noch vor kurzem verdächtigt wurde, Sympathien für die PKK zu hegen, gilt nun als "großer Freund des Friedens und der türkischen Republik".
Derart überschwängliche Meldungen in den türkischen Medien verweisen darauf, dass die Türkei neuerdings langfristig die Existenz eines eigenständigen kurdischen Gebietes im Irak unter ihrer indirekten politischen und direkten militärischen Kontrolle anstreben könnte. Dies fände die Unterstützung der USA, denen eine solche Lösung für den Nordirak in Kooperation mit dem Nato-Partner Türkei seit Jahren vorschwebt. Die Kommentare der TDN bestärken diese Perspektive ebenso wie das auffällige Schweigen der westlichen Länder, die, anders als in den Jahren zuvor, den türkischen Einmarsch nicht einmal halbherzig verurteilt haben.
Allerdings verknüpften die USA ihre Unterstützung der Türkei im Nordirak mit der Forderung nach einem anti-irakischen Kurs. Derzeit jedoch deutet wenig darauf hin, dass hier eine Übereinstimmung zwischen Washington und Ankara vorherrscht. Zwar bezichtigte die Türkei kürzlich den Irak der PKK-Unterstützung und verlängerte die Genehmigung britischer und US-amerikanischer Patrouillenflüge über dem Nordirak; auf eine grundlegende Änderung ihrer Irak-Politik, die auf engere ökonomische und politische Kooperation mit dem Nachbarland setzt, weist nichts hin. Zudem betont die Türkei seit der Entstehung der kurdischen Selbstverwaltung im Irak 1991, dass sie kein unabhängiges Irakisch-Kurdistan dulden werde und deshalb die Wiedereingliederung des Gebietes in den Irak befürworte.
Vor diesem Hintergrund scheint es plausibel, dass die Türkei mit ihrer Intervention längerfristig direkte Verhandlungen zwischen Bagdad und den irakischen Kurden unter ihrer Vermittlung anstrebe, um so ihre Position gegenüber den arabischen Nachbarn zu sichern und zugleich auf ein Ende der kurdischen Selbstverwaltung im Nordirak hinzuarbeiten.

In: jungle world 4/ 2001 v. 17. 01. 2001


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