zurück

Bündnis der Outcasts

Im Nordirak soll sich die türkisch-kurdische PKK in eine Allianz mit den Republikanischen Garden Saddam Husseins begeben haben.

Von Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken

Weit über einhundert Menschen dürften im Nordirak bei schweren Auseinandersetzungen zwischen der irakisch-kurdischen PUK (Patriotische Union Kurdistans) und Verbänden der türkisch-kurdischen PKK ums Leben gekommen sein. Damit ist der Burgfrieden, der mehr als zwei Jahre lang für eine gespannte Ruhe in der kurdischen Region gesorgt hat, vorbei. Und damit werden auch die strukturellen Probleme der kurdischen »Selbstverwaltung« wieder akut. Ohne völkerrechtlichen Status und abhängig vom Wohlwollen der Anrainerstaaten Iran, Türkei und Syrien, steht und fällt der Nordirak mit der internationalen Politik gegenüber der irakischen Regierung. Diese sieht sich nach wie vor als einzig legitime Macht in der Region. Die Kämpfe brachen denn auch zugleich mit den jüngsten von Russland und Frankreich angeführten Attacken auf das Irak-Embargo (Jungle World, 40/00) aus.

Nach erbitterten Kämpfen hatten sich im September 1998 die verfeindeten Kurdenparteien PUK und KDP (Demokratische Partei Kurdistans) unter US-amerikanischer Vermittlung in Washington auf einen Waffenstillstand geeinigt. Obwohl die zentralen Übereinkünfte dieses Abkommens, wie der Austausch von Gefangenen und die Durchführung freier Wahlen für ein gemeinsames Regionalparlament, weiterhin uneingelöst blieben, hat sich die Situation der Bevölkerung seitdem spürbar entspannt. Beide Parteien haben den Waffenstillstand zum Aufbau dauerhafter Verwaltungsstrukturen genutzt und konnten im letzten Jahr trotz des Irak-Embargos einen wirtschaftlichen Aufschwung verzeichnen. Die Auseinandersetzungen folgen bekannten Regeln. Kaum sind die Kämpfe vorbei und es geht ans Zählen der Toten, will es keiner gewesen sein. Nachdem sich PUK und PKK am Nachmittag des 4. Oktober auf eine vorläufige Waffenruhe geeinigt hatten, folgten unmittelbar die gegenseitigen Beschuldigungen. Schenkt man der PUK Glauben, dann begannen die Auseinandersetzungen, als Verbände der PKK mehrere Dörfer in der Region Qaradakh gewaltsam besetzten. Osman Öcalan, Präsidialratsmitglied der PKK und Bruder des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan, wiederum bezichtigt die PUK, 80 Millionen US-Dollar für einen »schmutzigen Krieg« zur Vernichtung der PKK erhalten zu haben. Seine Partei, verkündete er in der Özgür Politika, sei »nicht verantwortlich für die jüngsten Ereignisse und auch nicht für die Entwicklungen der Zukunft«.

Für die irakischen Kurden könnte die Zukunft tatsächlich noch einige Überraschungen bereit halten. Unbestätigten Meldungen zufolge operieren die militärischen Verbände der PKK neuerdings in enger Zusammenarbeit mit der irakischen Armee. Bereits seit Mitte August befinden sich demnach Kommandeure der PKK als ständige Vertreter in den Operationsbüros der Zweiten Division der irakischen Armee. Dort habe Mitte September ein Treffen zur Planung militärischer Aktionen im kurdischen Nordirak stattgefunden, an dem neben hochrangigen Offizieren des irakischen Nachrichtendienstes auch zwei PKK-Vertreter teilgenommen hätten. In einem von der PUK lancierten Protokoll der Sitzung werden die Details einer »begrenzten und schnellen« Operation unter dem Namen »Fliegender Falke« beschrieben, an der neben Kämpfern der iranischen Mudschaheddin Khalq auch Verbände der PKK teilnehmen sollen. Operatives Ziel ist demnach die »Befreiung« strategisch wichtiger Randgebiete entlang der Demarkationslinie und damit eine Destabilisierung der kurdischen Region. »Wir erwarten während dieser Operation keinen internationalen Druck, weil wir in dieser Zeit die Stadt Suleymaniyah nicht angreifen werden.« Die Echtheit des Papiers ist nicht bestätigt, doch es kann als sicher gelten, dass die PKK-Operationen von der irakischen Führung zumindest geduldet werden. Nicht zuletzt die an den Kämpfen in der Qaradakh-Region beteiligten Verbände der türkisch-kurdischen Arbeiterpartei waren durch irakisch kontrolliertes Territorium in die Region verlegt worden.

Verwundern sollte ein solches Bündnis nicht. Die zwischenzeitliche Stabilisierung der Region hat sowohl dem Irak als auch der PKK handfeste Nachteile eingebracht. In Washington haben KDP und PUK sich auf ein »föderalistisches Konzept« für den kurdischen Nordirak geeinigt, das von arabischen Nationalisten als Gefahr für die Einheit der arabischen Region gesehen wird. Eine Konsolidierung der Selbstverwaltung wird von Bagdad nur so lange geduldet, wie die eigenen territorialen Ansprüche im Norden nicht dauerhaft gefährdet werden.

Die US-amerikanische und türkische Unterstützung für die irakisch-kurdischen Parteien bezahlten diese mit dem Versprechen, keine weiteren Aktivitäten der PKK zu dulden. Vor allem die KDP, die den nördlichen Teil der Region und den größten Teil der Grenze zur Türkei kontrolliert, hat sich in den vergangenen Jahren als treuer Verbündeter der Türkei erwiesen. Seit 1995 befinden sich KDP und PKK in einem dauerhaften Kriegszustand, wiederholt intervenierte die türkische Armee aufseiten der KDP in der Region. Geduldet wurden die Kämpfer der PKK dagegen im PUK-kontrollierten Süden. Seit der Verhaftung Abdullah Öcalans, als die PKK einen Waffenstillstand erklärte, haben sich bewaffnete Einheiten in diese Region zurückgezogen. Da nun auch Jalal Talabani, der Vorsitzende der PUK, Unterstützung in Ankara sucht und im Sommer mit der türkischen Regierung Gespräche aufnahm, wurde für die PKK auch im Süden der Region der Boden zu heiß. Der Status, den Talabani der PKK offiziell anbietet, würde sie auf eine weitgehend entwaffnete, aber geduldete ausländische Oppositionspartei reduzieren, ähnlich den iranisch-kurdischen Parteien im Nordirak. Dann hätte die PKK bei ihrem Versuch, eine Einigung mit dem türkischen Staat zu erreichen, nur noch wenig in die Waagschale zu werfen. In Ankara stoßen Öcalans Angebote, mit den »feudalistischen Warlords« im Nordirak Schluss zu machen, ohnehin auf wenig Gegenliebe.

Auch wenn sich die Meldungen über eine Bedrohung der Region durch eine Kooperation zwischen PKK und irakischer Armee als Propaganda der PUK erweisen sollten, sind sie doch eine sehr glaubwürdige Propaganda. Die irakische Armee macht seit Wochen gegen den kurdischen Nordirak mobil und hat entlang der Demarkationslinie starke Truppenverbände zusammengezogen. Die Propaganda Bagdads, die von den »feudalistischen Banden« im Norden als »Agenten von Uncle Sam« spricht, zeigt eine erstaunliche Übereinstimmung mit den jüngsten Verlautbarungen der PKK.

Ein derartiges Bündnis käme, wie der kurdische Kommentator Fereydun R. Hilmi meint, auch der Türkei zupass: »Die Iraker wollen die Kurden im Süden gebrochen und geschlagen sehen. Dann stünde niemand mehr im Wege, um später, sollte dies notwendig sein, auch die PKK loszuwerden. Beide, Irak und Türkei, wären froh über ein Ende der PUK, weil dann nur noch die PKK, eine international als terroristisch diskreditierte Kraft, als ausländische Guerillatruppe übrig bliebe, die, um zu überleben, sich jedem andienen müsste, der sie füttert.«

Aus: Jungle World 42/2000 vom 11. Oktober 2000


WADI e.V. | tel.: (+49) 069-57002440 | fax (+49) 069-57002444
http://www.wadinet.de | e-mail: