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Interview mit Mahdi Mahmood, politischer Aktivist und Journalist, Irakisch-Kurdistan, Sept. 94

Du organisierst mit Freunden eine "Woche des zivilen Ungehorsams" in Irakisch-Kurdistan;. Warum?

Die Aktionswoche richtet sich gegen den Bürgerkrieg, der hier in Irakisch-Kurdistan immer wieder aufflammt, seine Ursachen und Folgen. Es wird kulturelle Veranstaltungen, Vorträge und Diskussionen geben; wichtiog ist vor allem ein Treffen der Gruppen und Leute, die für eine zivile kurdische Gesellschaft kämpfen wollen. Das was wir jetzt haben, ist keine Gesellschaft mehr, sondern ein Dschungel. Viele Leute verlassen momentan das Land, noch mehr wollen weg, es ist ein Desaster. Man kann aber wirklich niemandem vorwerfen, hier weg zu wollen. Alles was wir tun können, ist den Menschen, die es nicht mehr aushalten hier weiter zu leben, etwas Hoffnung geben. Hoffnung auf ein Leben, in dem die Menschenrechte respektiert werden, ohne Angst vor nächtlichen Überfällen, ein humanes Leben. Eigentlich etwas sehr simples.

Was sind die Gründe für den Bürgerkrieg?

Ich glaube der Bürgerkrieg ist der einzige Weg für die beiden großen Parteien PUK und KDP (Patriotische Union Kurdistan, Demokratische Partei Kurdistan) ihre Macht über die kurdische Gesellschaft zu reproduzieren. Die wirtschaftliche und politische Programmatik dieser beiden Parteien ist reaktionär; was sie den Leuten zu bieten haben ist Hunger, Arbeitslosigkeit und Krieg. Durch den Bürgerkrieg können sie den entstehenden Widerstand und die neuen Forderungen der Menschen hier unterdrücken, die genug von dem ganzen haben.

Dieser Krieg wird anhalten, wenn es nur vom Willen der Parteien abhängt, auch wenn gerade keine Schüsse zu hören sind und es draußen ruhig zu sein scheint.

Was ist mit der Regierung? Es gab doch 1992 eine demokratische Wahl ...

Die Regierung ist eine Leiche. Das Parlament war von Anfang an ein Stammestreffen zwischen den beiden neuen Stämmen PUK und KDP. Wenn die Stämme gerade gegeneinander Krieg führen, reden sie nicht miteinander und dann und also gibt es keine Regierung. Die Wahlen waren ein anderes Desaster der Demokratie. In der Tat gab es große Hoffnungen, daß die Wahlen deer Beginn eines demokratischen Lebens sein könnten; aber dieser Traum wurde noch am Wahltag umgebracht. Es vielleicht eine Stunde gedauert, bis die Parteileute gemerkt haben, daß die Tinte, mit der die Wähler kontrolliert werden sollten, abwaschbar war. Das Resultat war die Übereinkunft, den beiden großen Parteien jeweils die Hälfte der Parlamentssitze zu geben.

Gibt es Ansätze in der Politik jenseits der traditionellen Parteien?

Ja, langsam begreifen viele Menschen, daß sie gemeinsame Interessen verbinden, die nichts mit den Parteien zu tun haben Das Personal in zwei großen Krankenhäusern in Arbil hat gestreikt, als während der Kämpfe die Parteien die Gebäude besetzen wollten. Bald wird ein großer Lehrerstreik kommen, wenn sich nicht sehr schnell jemand um die katastrophale wirtschaftliche Lage der Lehrer kümmert. Von einem Lehrergehalt kann man eigentlich gar nicht mehr leben. Und es gibt natürlich die Bauernbewegung. Die Aghas, die ehemaligen Großgrundbesitzer, sind zurückgekommen und fordern das Land für sich. Sie werden vom Iran unterstützt und sie haben Einfluß bei den Parteien. Nach heftigen Kämpfen sind sie von den Bauern zurückgeschlagen worden, aber jetzt während des Bürgerkriegs sind sie wieder zurückgekommen. Anfang September hat die Bauernbewegung eine bewaffnete Demonstration durch die Dörfer gemacht, um zum Widerstand aufzurufen. Das wird nicht leicht für die Aghas. Da haben sich Bauern aus allen Parteien zusammengeschlossen, um sich gemeinsam zu verteidigen.

Wie ist die Entwicklung in Irakisch-Kurdistan, international gesehen, einzuordnen?

Länder wie Kurdistan, Afghanistan oder Jugoslawien sind wie Versuchslaboratorien, die zeigen, was passiert, wenn Gesellschaften dazu gezwungen werden, sich nach tribalen und ethnischen Strukturen zu reorganisieren. Das führt ins Chaos, zu Tod und Zerstörung. Das ist nicht nur eine Frage der 3.Welt, wie ist das denn mit dem Rassismus und Nationalismus in Europa? Das betrifft uns alle und wir dürfen nicht untätig zusehen, wenn vor unseren Augen die Demokratie totgeschlagen wird. Die neue Weltordnung will keine Demokratie in Irakisch-Kurdistan. Das könnte ja ansteckend für gesamte Region sein.

Oliver Marc Piecha (Mitarbeiter von WADI e.V.)

 


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