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"Hussein produziert Hunger"


Interview mit Frau Ala Fakhradeen Talabany, Mitglied des Büros für "Foreign Affairs" der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) in Suleymaniah, Irakisch-Kurdistan


Seit 1997 wird im Irak das sogenannte "ÖL für Nahrungsmittel"-Abkommen zwischen UN und irakischer Regierung umgesetzt, das nach UN-Sicherheitsratsresolution 986 dem Irak kontrollierte Ölverkäufe gestattet, deren Erlös für Nahrungsmittel, Medikamente und Infrastarukturmaßnahmen verwendet werden soll. Auch die selbstverwalteten kurdischen Gebiete im Norden des Irak profitieren von diesem Abkommen


Frage: In Kurdistan erhalten die Menschen die gleichen Zuwendungen aus den 986-Geldern wie im Zentral- und Südirak auch. Anders als dort aber herrscht hier weder eine Hungersnot noch sterben die Menschen massenhaft an heilbaren Krankheiten. Angesichts dieser Lage im Restirak finden in Europa zunehmend Kampagnen Zulauf, die behaupten, dass das "Öl für Nahrungsmittel" Programm keineswegs die Grundbedürfnisse der Bevölkerung im Irak deckt. Wie erklären Sie sich den Unterschied der Lebenssituation zwischen dem Nord- und Restirak?

Antwort: Ich weiss, daß in Westeuropa viel über diese Frage diskutiert wird. Und es erstaunt mich, weil allen Irakern, egal wo sie leben genau die selbe Menge an Nahrung aus 986 zusteht. Der einzige Unterschied ist , daß in Kurdistan die UN in Zusammenarbeit mit der lokalen Verwaltung für die Verteilung der Lebensmittel zuständig ist, während diese Verantwortung im Restirak alleine bei der irakischen Regierung liegt.

Die ihrerseits erklärt, daß trotz der 986-Lebensmittel jeden Monat mehrere Zehntausende von Kindern verhungern...

Wir vermuten, daß Saddam Hussein die Lebensmittel bewußt zurückhält. Indem er so Hunger produziert, versucht er die öffentliche Meinung in Europa für sich zu mobilisieren, die glauben soll, daß diese Kinder wegen der UN-Sanktionen verhungern müssen. Denn hier im Nordirak hat 986, trotz all seiner negativen Seiten, enorm zur Verbessrung der Lage der Menschen beigetragen.

Was halten Sie also von der Anti-Embargo Kampagne, die von Leuten wie Hans von Sponeck und Dennis Halliday angeführt wird?

Halliday und von Sponeck waren beide Koordinatoren der UN in Bagdad. Und als sie hier arbeiteten und nicht zufrieden waren, warum haben sie sich da nicht beschwert und gesagt, daß dieses Programm nicht seinen humanitären Zielen dient?
Erst nachdem sie zrückgetreten sind haben sie ihre Kapagne begonnen. Ich persönlich kann mich des Eindruckes nicht erwehren, daß diese Leute in einer Art reden, als würden sie von Bagdad bezahlt.

Könnten Sie die Auswirkungen des 986 Programmes auf die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete im Nordirak genauer beschreiben?

Die Auswirkungen von 986 hier sind beachtlich, vor allem wenn man bedenkt, dass unter der Herrschaft der Baath Partei über 4500 kurdische Dörfer völlig zerstört und entvölkert wurden. Nach der Befreiung 1991 wurden viele dieser Dörfer mit internationaler Hilfe wieder aufgebaut, aber erst nach Implementierung von 986 geschieht dies systematisch, Schulen und Krankenhäuser werden gebaut und selbst die Straßen erneuert. Auch in den Bereichen Erziehung, Infrastruktur, Nahrung und Gesundheit ist alles seitdem besser geworden. Man kann sagen, daß zum ersten Mal seit Jahrzehnten irakisches Geld in Kurdistan für die Zivilbevölkerung und nicht für das Militär ausgegeben wird.

Aber die Entscheidungen, wofür das Geld ausgegeben wird, liegen doch noch immer in Baghdad und die kurdische Verwaltung hat keinen Einfluss auf sie.

Ja, das ist eines unserer Hauptprobleme. Wir haben von der UN immer wieder verschiedenste Dinge angefordert, die aber von Baghdad nicht genehmigt wurden. Denn wenn der Irak nicht daran interessiert ist, uns etwas zukommen zu lassen, bekommen wir es auch nicht. Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben: In Irakisch-Kurdistan liegen noch immer Millionen von Minen. Unter 986 wurden nun besondere UN-Agenturen mit der Minenräumung beauftragt. Aber das irakische Regime hat einen Brief an die UN geschrieben, in dem es verboten hat die Grenzregionen zu entminen.Und das heißt, daß tausende von Dörfern nicht oder nicht vollständig wiederaufgebaut werden können, weil ihr Land voller Minenfelder ist. Deshalb passieren noch immer täglich schreckliche Minenunfälle.

Aber erhöht 986 nicht auch indirekt den Einfluss der irakischen Zentralregierung, weil sie jedem Antrag zustimmen müssen. Die Frage ist doch: hilft 986 den Kurden, ihre Unabhängigkeit auszubauen oder stärkt es indirekt den Einfluss Baghdads in der Region?

Diese Frage bezieht sich hauptsächlich auf die UN. Laut Mandat von 986 handelt die UN im Auftrag des irakischen Regimes in Irakisch-Kurdistan in Zusammenarbeit mit der kurdischen Verwaltung. Und die UN gibt Saddam so das Recht bzw. die Möglichkeit sich direkt in unsere Angelegenheiten einzumischen.

Ist es nicht zugleich gefährlich, sich in eine solche Abhängigkeit zu Saddam Hussein zu begeben, schließlich kann der Irak 986 jederzeit stoppen?

Ja, wir wissen das, aber wir können wenig dagegen tun. Wir versuchen die UN etwa dazu zu bewegen, Nahrungsmittel hier auf den kurdischen Märkten einzukaufen, anstatt sie zu importieren. Warum bringen sie Nahrungsmittel aus Australien oder Kanada, statt sie hier zu kaufen, wo sie billiger sind und außerdem geholfen werden kann, die zerstörte kurdische Wirtschaft wieder aufzubauen. Aber letztlich liegt das alles in den Händen der UN und wir können nur versuchen diese Vorschläge zu machen.

Man könnte die Argumentation von von Sponeck und Halliday also auch umdrehen: Eine Aufhebung des Embargos - und damit das Ende von 986 - würde das Leiden der irakischen Bevölkerung verschlimmern, weil niemand Saddam Hussein mehr dazu bewegen könnte, wenigstens Teile der Öleinkünfte für die Versorgung der Bevölkerung zu verwenden?

Vielleicht, ja. Aber wenn in Europa über die Sanktionen geredet wird, dann möchte ich den Leuten immer sagen: Wenn die Sanktionen aufgehoben werden, wer garantiert dann den Kurden, daß der Irak sie nicht erneut angreift und sogar erneut mit chemischen oder biologischen Waffen zu vernichten versucht?
Auch ich bin gegen diese Sanktionen, als Teil der irakischen Bevölkerung wollen auch wir, dass die Sanktionen aufgehoben werden. Aber das muss unter bestimmten Bedingungen geschehen. Und eine dieser Bedingungen muss eine internationale Garantie zum Schutz der Kurden sein.

Denken Sie, daß die Kampagne von von Sponeck und Halliday langfristig den kurdischen Selbstverwaltungsgebieten schadet?

Natürlich! Deren Vorgehen ist für mich nicht nachvollziehbar. Denn wenn sie über die Sanktionen und 986 und die verhungernden Kinder sprechen, so müssten sie zugleich auch über die Geschichte von Verfolgung und Vernichtung in Kurdistan und anderen Teilen des Irak sprechen und über die Erfahrung, die die Kurden mit diesem Regime gemacht haben und jeden Tag machen. Denn der Irak führt seine Politik der systematischen "Arabisierung" in den von ihm kontrollierten Städten Kirkuk und Khanaqin fort. Täglich werden Kurden von dort deportiert und ihr Besitz beschlagnahmt. Warum waren Hans von Sponeck und Dennis Halliday hier, und wir als kurdische Verwaltung haben ihnen gesagt wieviele tausend Kurden pro Monat deportiert worden sind, und sie reden nicht über diese Dinge? Man müsste der Öffentlichkeit im Westen die Komplexität des Problems endlich bewußt machen.

Gerade in Europa steht in letzter Zeit die Embargo-Frage im Vordergrund, während kaum über die katastrophale Menschenrechtslage im Irak diskutiert wird. Warum?

Das sind auf internationaler Ebene Fragen des politischen Interesses. Wenn der Westen daran interessiert ist, eine Menschenrechtsfrage auf die Tagesordnung zu setzen, tut er das. Und wenn er das nicht will, verschließt er die Augen.

Denken Sie, dies liegt am Interesse vieler europäischer Staaten, ihre Beziehungen zum Irak wieder zu verbessern? Denn in den USA und in Großbrittanien ist die Lage ja durchaus bekannt.

Das halte ich für sehr wahrscheinlich. Die Politiker wissen sehr wohl, was im Irak los ist, aber das Interesse ihrer Regierungen ist ein anderes. Wie ich sagte, es müsste eine Kampagne gebe, die sowohl von den negativen Einflüssen des Embargos als auch von der Menschenrechtslage im Irak spricht.

Gab es nicht bislang auch das Problem, dass die irakische Opposition und die kurdischen Parteien kein klares Bild vermitteln konnten, was für eine Alternative für den Irak sie sich vorstellen?

Ja, leider kann ich vor allem sagen, dass die kurdischen Parteien nicht kooperiert, sondern sich bekämpft haben. Jetzt versuchen wir im Rahmen des voranschreitenden Friedensprozeeses zwischen KDP und PUK nicht nur zusammenzuarbeiten und gemeinsam 986 hier umzusetzen, sondern wir hoffen, daß wir eines Tages Neuwahlen ausschreiben können und eine neue kurdische Regionalregierung wählen.

Nun ist es das erklärte Ziel beider kurdischen Parteien, eine Lösung innerhalb des Irak zu finden und keine Eigenstaatlichkeit anzustreben, aber es ist weiterhin völlig unklar wie diese Lösung aussehen soll.

Ja unser Ziel ist es, unsere Probleme innerhalb eines demokratischen Irak, der ein Mehrparteiensystem sein soll, zu lösen. Und das ist das zentrale Problem für die Region. Wir haben jetzt keinerlei Garantie für die Zukunft und deshalb hoffen wir auf eine derartige Änderung.

Werden also gerade auch mit anderen irakischen Oppositionsgruppen Konzepte entwickelt, wie ein demokratischer Irak ohne Saddam Hussein aussehen soll bzw. könnte? Oder ist das weiter nur ein Traum?

Nun, ich habe nicht die Position inne, genau zu wissen, welche Verhandlungen es da gibt. Deshalb kann ich nur sagen, wir arbeiten daran und es ist unser Traum, eines Tages in einem demokratischen Irak zu leben. Aber jetzt sind wir mehr daran interessiert unter den herrschenden Bedingungen die Region zu entwickeln und eine gewisse Stabilität aufzubauen, die die Menschen hier brauchen.


Das Interview führte Thomas v. der Osten-Sacken

leicht gekürzt erschienen in konkret 10/2001


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