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"Zuerst werden die Frauen entlassen ..."

Zur Lage der Frauen in Irakisch-Kurdistan

Die Lage von Frauen in Irakisch-Kurdistan hat sich seit der militärischen Befreiung 1991 nicht wesentlich verbessert. Glaubten viele anfangs noch, daß nach der Vertreibung der irakischen Armee in Kurdistan auch tiefgreifende soziale Veränderungen durchgeführt werden würden, hat sich jetzt eher Resignation ausgebreitet.

Besonders von der allgemeinen schlechten wirtschaftlichen Situation sind die sogenannten "Anfal-Witwen" , Frauen, deren männliche Angehörige 1988 von dem irakischen Militär verschleppt und ermordet wurden, betroffen. Diese Frauen leben in künstlichen Sammelstädten unter unwürdigen Bedingungen. Die Wasserversorgung funktioniert nicht oder schlecht, sanitäre Einrichtungen sind katastrophal.

Ganz besonders für Frauen gibt es kaum Arbeit. Teilweise müssen sieben- bis achtköpfige Familien mit umgerechnet weniger als zehn Mark monatlich auskommen. Viele Frauen wollen wieder in ihre Stammdörfer, die von Saddam´s Truppen dem Erdboden gleichgemacht wurden, zurückkehren. Wenigen bietet sich diese Chance, da gerade im Südwesten des Landes und an der Grenze zum Iran große Gebiete völlig vermint sind. Auch sind Erbrechte an Land bis heute ungeklärt, ein Gesetz des Parlaments, das die Landfrage regelt, steht weiterhin aus. So vererbt sich Land laut, bisher gültigem Recht, auf der männlichen Linie. Besaß eine Familie, deren Ernährer umgebracht worden ist, Land, steht dieses nicht der Frau, sondern dem Bruder, Cousin oder anderen Verwandten zu. Bisher sind nur wenige Fälle bekannt, in denen Frauen Landanspruch durchsetzen konnten. Das liegt nicht zuletzt an der hohen Quote an Analphabetinnnen in den Sammellagern. Die Vorsitzende der "Komalla Afretan", einer Frauenorganisation schätzt, daß ca. 80% aller "Anfal-Witwen" weder Lesen noch Schreiben können. So unterliegen oftmals Frauen in Rechtsstreitigkeiten deshalb, weil die Männer eine bessere Bildung genossen haben. Erste Alphabetisierungsprogramme von Hiflsorganisationen finden deshalb auch großen Anklang. "Wenn wir mit einem Lautsprecher durch die Straßen gehen und ankündigen, daß eine Frauenschule eröffnet wird, haben sich am nächsten Tag schon mehr Interessenten gemeldet, als Plätze zur Verfügung stehen", erklärt Peruin von der "Komalla Afretan" [1].

Aber auch im ökonomischen Bereich müßte mehr getan werden. Die einzige Beschäftigungsmöglichkeit für diese Frauen ist es auf den Feldern für Aghas (Großgrundbesitzer) zu arbeiten. Diese Arbeit ist allerdings schamlose Ausbeutung: der monatliche Lohn von umgerechnet elf Mark reicht nicht einmal aus, fünf Kilo Reis zu kaufen. Erste Versuche kleinere ökonomische Projekte für "Anfal-Frauen" einzurichten waren bisher relativ erfolgreich, allerdings helfen sie nur einem verschwindend kleinen Anteil der Witwen. Denn bisher beschränken sich die internationalen Hilfsmaßnahmen hauptsächlich darin, dörfliche Strukturen wiederaufzubauen. Viele der Frauen in den Sammelstädten, denen es nach der Gruppe der innerkurdischen Flüchtlinge, anerkanntermaßen am schlechtesten geht, werden wohl nie wieder in einem Dorf leben. Doch bisher gibt es weder von der kurdischen Regierung noch von Hilfsorganisationen Programme oder Perspektiven, wie den Menschen, vor allem den Frauen geholfen werden kann, obwohl hinlänglich bekannt ist, daß ohne externe Hilfe, sich die Lage kontinuierlich verschlechtern wird.

Frauenorganisationen, die fast alle an eine Partei angeschlossen sind, versuchen, so gut es geht, mit wenig Geld selbstverwaltete Frauenprojekte durchzuführen. Dies gestaltet sich allerdings wesentlich schwieriger, als in anderen Trikont-Staaten. Denn die Baath-Diktatur hat jahrzehntelang jede Art von Selbstorganisation verhindert. Anders als in Palästina oder Indien können Frauengruppen auf keine langjährige Erfahrung zurückgreifen. So wurden besonders in den ersten beiden Jahren viele Fehler gemacht. Da auch internationale Geber keinen Schwerpunkt auf Frauenprojekte legen, bleiben diese relativ vernachlässigt.

Eine weitere Schwierigkeit liegt darin, daß die drei größeren Frauenorganisationen mehr oder weniger eng an Parteien gebunden sind. So spielt oftmals Parteienpolitik eine größere Rolle als die wirklichen Belange der Frauen. Versuche im Parlament gemeinsam ein Gesetz zur Gleichstellung der Frau einzubringen, scheiterten unter anderem an parteipolitischen Querelen. Auch sitzen im 1992 gewählten Parlament nur acht Frauen. Dagegen stehen die Mullahs und konservative Großgrundbesitzer.

Auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen gibt es Rückschritte. So war beispielsweise die Mehrehe im Irak verboten, "jetzt sitzen wieder Männer, die mit mehreren Frauen verheiratet sind im Parlament", sagt Peruin. Außerdem existiert noch immer ein "Gesetz der persönlichen Moral", nach dem es z.B. für eine Frau verboten ist ihren Mann zu verlassen. Verstärkt wurden wieder Fälle bekannt, daß Frauen aufgrund dieses Gesetzes inhaftiert wurden [2]. So stellt die Abschaffung dieses Gesetzes auch eine wichtige Forderung der Frauenorganisationen dar.

Aber ihre Stellung ist schwierig, nicht zuletzt, weil auch in Kurdistan die islamischen Fundamentalisten an Einfluß gewinnen. Finanziell unterstützt vom Nachbarland Iran, breiten sie sich vor allem in der Region um Halabja aus. Dort sieht man die ersten verschleierten Frauen, ein Novum im ansonsten traditionell eher laizistischen Kurdistan. Da die Islamisten über finanzielle Ressourcen verfügen, folgen sie ihrem klassischen Konzept auf unterster sozialer Ebene karitativ zu helfen, Suppenküchen werden unterhalten und Schulen eingerichtet.

"Ein Problem bei uns, das jetzt seine Auswirkungen zeigt", sagt Peruin, die selber bewaffnet am Widerstand teilnahm, "ist, daß Frauen im südkurdischen Widerstand nur eine geringe Rolle gespielt haben. Es gab nur sehr wenige weibliche Peschmergas. Da unterscheiden wir uns völlig von dem Befreiungskampf in Nordkurdistan, in dem die Frauen eine wichtige Rolle spielen. Ich glaube, daß die Frauenproblematik im Norden auch in Zukunft ein wichtiges Thema sein wird."

Die zunehmende Entrechtung von Frauen ist auch in den Städten zu spüren, da als erstes Frauen von den wenigen, existierenden, Arbeitsplätzen entlassen werden. So waren in der staatlichen Kleiderfabrik in Suleymania vor der Befreiung ca. 3000 Frauen angestellt, heute sind es nur noch 500 Arbeiterinnen. Die Produktionskapazitäten sind drastisch eingeschränkt, da das UN-Embargo es nicht ermöglicht Rohstoffe und Ersatzteile zu importieren. "Gerade wenn die Arbeit knapp ist, werden zuerst Frauen entlassen. Es gibt nichts, wo wir die Kinder hingeben können, wenn wir arbeiten gehen. Kindergärten sind mehr als rar. Nur wenn wir ökonomisch von den Männern in der Familie unabhängig sind, dann haben auch die Gesetzesänderungen einen Sinn. Wir müssen die gleichen Ausgangspositionen für einen Job haben wie die Männer. Daß heißt aber auch, daß die Hausarbeit, die uns automatisch zugerechnet wird, als Aufgabe der Gesellschaft begriffen werden muß" [3]. Diese und andere Forderungen, die von der radikal linken Unabhängigen Frauenunion gestellt werden, gelten vielen anderen Aktivistinnen als überzogen. Doch auch sie kritisieren die Tendenz wieder verstärkt aus dem öffentlichen Leben auszugrenzen und privaten Bereich zu verbannen.

Bis jetzt ist völlig unklar, wie sich in Zukunft die Situation der Frau in der kurdischen Gesellschaft gestalten wird.

Die folgenden Interviews zeigen, mit welchen Problemen die Frauen in Kurdistan konfrontiert sind.

Sie zeigen ebenfalls, daß eine breitere Auseinandersetzung mit diesen Fragen auch hier mehr als notwendig wäre.

Thomas von der Osten-Sacken, Mitarbeiter von WADI e.V.
(erschienen in ak 370, 21.9.1994, und links, 1994)

Anmerkungen:

[1] Alle nicht markierten Zitate stammen aus Interviews und Gesprächen die WADI in Irakisch-Kurdistan geführt hat.

[2] Über die zahlreichen Frauenmorde siehe das Interview mit Dr. Wahabir.

[3] zitiert nach einem Artikel von Lissy Schmidt im ak vom 13.4.1994, S. 5


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