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"Auch in Freiheit sind wir nicht sicher... "

Die Situation von gefangenen Frauen in Irakisch-Kurdistan

In Irakisch-Kurdistan, dem seit nunmehr fünf Jahren nicht mehr unter der Kontrolle Saddam Husseins stehenden Teil des Nordiraks, gibt es in den vier größeren Städten Dehok, Akre, Arbil und Sulemania Frauengefängnisse. Im Rahmen eines Alphabetisierungsprogramms hatten Mitarbeiter von Wadi e.V. die Möglichkeit, die in Sulemania inhaftierten Frauen mehrmals zu besuchen und mit ihnen zu sprechen.

Neun Frauen sind zur Zeit im Frauengefängnis inhaftiert, sieben von ihnen sind zu lebenslänglicher Haft (20Jahren) verurteilt, die anderen warten noch auf ihr Urteil. Die meisten von ihnen stammen aus weit von der Stadt entfernt liegenden Dörfern, nur eine ist des Lesens und Schreibens kundig. [1] Das Gefängnis besteht aus einem kleinen Hof, an den ein Raum - die Gefängniszelle - sowie Toiletten und ein Waschraum angrenzen. Tagsüber ist den Frauen die Benutzung des Hofes erlaubt, über den sie auch die Toiletten erreichen, nachts wird die Tür der Zelle jedoch verriegelt. Über ihren Alltag im Gefängnis sprechen die Frauen ohne Scheu: Der Raum sei klein und feucht und ihre Matratzen und Decken zu dünn, so daß sie häufig krank würden. Außerdem sei das Essen nie ausreichend und schlecht, doch davon wolle die Gefängnisleitung nichts wissen. "Ich habe es im Fernsehen gesagt, daß wir nicht genug zu essen bekommen", berichtet Zeinab [2], "am nächsten Tag haben die Wärter mit mir geschimpft, ich solle so etwas nicht verbreiten, denn sie würden uns doch eigentlich nicht schlecht behandeln. Ja, habe ich gesagt, mißhandeln tut ihr uns nicht, aber trotzdem ist das Essen nicht gut." Außerdem erhalten sie außer den spärlichen Mahlzeiten keinerlei weitere Unterstützung. So müssen sie zum Beispiel den tägliche Bedarf an Tee selbst decken, obwohl ihr einziger Beistand, wenn überhaupt, von den Familienangehörigen kommen kann, die sich jedoch häufig weigern, ihre Verwandte im Gefängnis zu besuchen. Ein weiteres Problem ist die ärztliche Versorgung. Noch nie hat eine Ärztin die Frauen im Gefängnis besucht, der behandelnde Arzt ist immer ein Mann, und dem erzählt keine offen ihre Beschwerden. Erst aufgrund des Drucks einer internationalen Hilfsorganisation richtete das städtische Krankenhaus den regelmäßigen Besuch einer Frauenärztin ein. Doch der Zusammenhalt zwischen den Frauen ist groß, sie unterstützen sich gegenseitig mit ihren Fähigkeiten, wenn eine von ihnen krank ist, helfen die anderen ihr und waschen zum Beispiel ihre Sachen.

Für viele der Frauen ist der gemeinsame Alltag im Gefängnis zur Normalität geworden, und sie sind sich bewußt, daß nach einer eventuellen Freilassung sie nicht unbedingt vor Racheakten sicher sind. Doch stärker beherrscht die Sorge um die Zukunft ihrer Kinder ihr Denken. "Daß wir verurteilt sind, ist nicht unser größtes Problem," sagen die Frauen, "wir haben einen Menschen getötet und werden dafür bestraft, doch auch unsere Kinder müssen für unsere Schuld büßen, denn sie werden ebenso wie wir von unseren Verwandten nicht selbstverständlich aufgenommen." Häufig erklärt sich ein naher Verwandter erst bereit, die mutterlosen Kinder zu versorgen, wenn er als Gegenleistung finanzielle Unterstützung erhält, doch die Frauen haben natürlich im Gefängnis keine Möglichkeit etwas dazuzuverdienen. So sind ihre Kinder gezwungen, auf dem Markt Plastiktüten oder Zigaretten zu verkaufen, um für ihren Unterhalt selbst zu sorgen. Aus diesem Grund ist es für alle Frauen wichtig, etwas zu lernen oder produzieren zu können. "Wir haben hier viel Zeit, wenn wir lesen und schreiben können, wird es uns die Augen und den Verstand öffnen und wenn wir etwas Geld verdienen würden, könnten wir sicher sein, daß unsere Kinder nicht für unsere Taten büßen müssen."

Allen Frauen im Gefängnis wird vorgeworfen, einen männlichen Verwandten sei es den Ehemann, Schwager oder Schwiegersohn, getötet oder verletzt zuhaben, sei es vorsätzlich oder während eines Streits. So erzählt Samira (35): "Mein Mann hat mich geschlagen und mißbraucht, bei einem Streit, bei dem er mich umbringen wollte, habe ich ihn dann mit der Axt erschlagen." Zeinab (28) dagegen beteuert ihre Unschuld: "Die Familie meines Mannes war schon immer gegen mich, sie hassen mich. Eines Nachts wurde mein Mann tot in unser Haus gebracht, meine Schwiegerfamilie hat die Polizei gerufen und gesagt, ich hätte ihn umgebracht. Aber ich habe es nicht getan." Fatima (58) ist schon seit 13 Jahren inhaftiert: "Ich habe meinen Schwiegersohn umgebracht, er war nicht gut zu meiner Tochter und war ein schlechter Mensch", begründet sie ihre Tat mit schlichten Worten. Eine andere Frau erklärt, daß sie anstelle ihres Sohnes, der einen Mord begangen haben soll, inhaftiert wurde, da sie seine Flucht deckte. Im Gespräch wird deutlich, daß sich alle von ihnen durch die Männer bedroht fühlten oder entweder sie selbst, die Schwester oder Tochter, mißhandelt oder sexuell mißbraucht wurden. Die Tatsache, daß sie in ihren Familien keinen Rückhalt fanden, förderte die Eskalation des Konflikts und des Hasses. Viele Frauen leiden unter ähnlichen Problemen in ihren Familien, jedoch werden diese Mißstände vertuscht und nur wenige greifen als letzte Konsequenz zum Mord. Die Handlungen der Frauen sind jedoch nicht allein als individuelle Gewalttaten zu werten, sondern hängen eng mit der sozialen Realität der Frauen in den Dörfern zusammen. Ihr Leben kann, wenn sie nicht mit ihrer Schwiegerfamilie zurecht kommen, regelrecht zur Hölle werden, da das bis heute traditionell feudal geprägte Recht den Frauen kaum Möglichkeiten der eigenen Entscheidung läßt. Der Ehemann und Vater beherrscht als Oberhaupt die Familie. So existiert bis heute das "Gesetz der persönlichen Moral", nach dem es Frauen z.B. verboten ist, ihren Mann zu verlassen. Sie sind Opfer außerjuristischer Willkür und haben vor dem Gericht keinem dem Mann gleichberechtigten Status. Es gibt keinen gesetzlichen Schutz für Frauen z.B. gegenüber den Anschuldigungen eines Ehemannes, der seiner Frau vorwirft, sie hätte sich unmoralisch verhalten und sie daraufhin verstößt. Morde an Frauen, denen unsittliches Verhalten nachgesagt wurde, bleiben ungefahndet. Die Unstimmigkeiten zwischen den Aussagen der Frauen, der Anklage und den Zeugenaussagen zeigen, wie schwierig es ist, die tatsächlichen Vorgänge zu rekonstruieren. Gerade in einer kleinen Dorfgemeinschaft spielen Familienzwistigkeiten oder die soziale Stellung der in den Konflikt involvierten Familien für dessen Darstellung eine besondere Rolle, die auch dazu führen können, daß eine Tat kollektiv in einer bestimmten Richtung gedeutet wird, ob es nun "objektiv" den Tatsachen entspricht oder nicht. Wie stark der Einfluß einer angesehenen Familie auf die Rechtsprechung sein kann, zeigt der Fall von Amira, die gemeinsam mit ihrem Bruder ihren Ehemann ermordete und in 1. und 2. Instanz zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurde. Sie bereut ihre Tat nicht. Aufgrund des gesellschaftlichen Drucks, den die Schwiegerfamilie ausübte, wurde das Urteil jedoch in 3. Instanz in ein Todesurteil umgewandelt. Auch wenn es in der öffentlichen Rechtssprechung nicht häufig vorkommt, ist die Todesstrafe in Irakisch-Kurdistan, das bis heute die irakische Gesetzgebung nutzt, nicht abgeschaft worden. Ein Abkommen mit dem ICRC (International Commitee of Red Crosses), das die Einhaltung der Genfer Konvention fordert, beinhaltet zwar die Ächtung der Todesstrafe, wird jedoch nicht konsequent eingehalten, wie das Urteil zeigt. Nur ein als sofortige Reaktion von den kurdischen Frauenorganisation und einigen internationalen NGO's verfasstes Memorandum an den Premierminister Kosrat Rasul konnte zu einer Revidierung des Urteils führen. Jedes Urteil muß zuletzt vom Premierminister unterzeichnet werden und aufgrund seiner positiven Reaktion auf die Petition wurde schließlich das Urteil in lebenslängliche Haft revidiert. Die gemeinsame Aktion von Internationalen NGO's und Frauenorganisationen zeigte positiv, wie die lokalen Organisationen durch den Rückhalt der Internationalen ihren politischen Forderungen stärkeres Gewicht verleihen konnten. Solche Bündnisse zielen nicht nur auf eine Verbeserung der wirtschaftlichen Lage, sondern bilden eine Kraft auch hinsichtlich gesellschaftlicher Veränderungen. So betonte der Premierminister außerdem, daß eine gänzliche Abschaffung der Todesstrafe unter Parlamentariern diskutiert würde, eine Forderung, die schon von einigen Frauenorganisationen des öfteren gestellt wurde. Doch seitdem das Palament durch die Spaltung des Landes in das KDP beherrschte Badinan- und PUK dominierte Soran-Gebiet nicht mehr vollständig zusammentritt, wird es wohl vorerst bei Worten, auf die keine Taten folgen, bleiben.

Seit neuestem werden immer öfter auch Frauen, die aufgrund familiärer Konflikte ihre Familie verlassen haben und die Nacht auf der Straße verbringen, von der Polizei ins Gefängnis gebracht. Sie werden dort in der Regel für einige Tage festgehalten, bis sich eine "Lösung" gefunden hat, was entweder die Rückkehr der Frau in ihre Familie oder in die eines nahen Verwandten bedeutet. Neben dem traditionellen Rückzugsort der Frauen in die Familiensphäre konnte sich in der kurdischen Gesellschaft bis heute keine Institution bilden, die sich speziell für die Belange und Rechte der Frauen einsetzt. Bis jetzt weigerte sich jede andere Institution die Frauen aufzunehmen. Gerade in den letzten Jahren ist ein zunehmender "Rollback" in der kurdischen Gesellschaft in sozialen Fragen zu beobachten, der es Frauen immer schwerer macht, sich entgegen den gängigen gesellschaftlichen Lebensmustern zu entwickeln. Ob sich in naher Zukunft eine andere Zufluchtsmöglichkeit für diese Frauen ergeben wird als die Flucht ins Gefängnis, ist mehr als unsicher.

Anne Mollenhauer, Wadi e.V.
(erschienen in analyse & kritik 393, 22.8.1996

Anmerkungen

[1] Kurz nach diesem Besuch wurden sieben Frauen in das Frauengefängnis Arbil verlegt.

[2] Alle Namen wurden von der Autorin geändert


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