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"Man sollte uns fragen, ob wir uns sicher fühlen..."

Zur Diskussion um die eventuelle Aufhebung des Embargos gegen den Irak

Die Diskussion um eine Aufhebung des Embargos gegen den Irak stiftet mal wieder eine Verwirrung, die mittlerweile üblich ist, wenn es um das von Saddam Hussein regierte Land geht. Jene, die sich gegenüber der Forderung von Solidaritätsgruppen und Hilfsorganisationen, das Embargo zumindest für den kurdischen, befreiten Teil des Iraks aufzuheben, immer taub gestellt haben, fordern neuerdings selbst eine Aufhebung. Hans Stercken zum Beispiel, der mit einer Delegation des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages erst vor zwei Monaten von einem Besuch bei Saddam Hussein zurückkehrte und zufrieden feststellen konnte, "er habe den Eindruck, der Irak habe aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt", avanciert seit der letzten Provokation am Golf zum Anwalt der irakischen Zivilbevölkerung, in dessen Interesse er die Aufhebung des Embargos fordert. Die kann das Embargo, im Gegensatz zu Saddam Hussein, wirklich nicht mehr länger überstehen. Schon seit mehr als drei Jahren sterben Menschen im Irak an Unterernährung, mangelnder medizinischer Versorgung und Armutskrankheiten, wie Typhus oder Cholera. Für jene, die immer schon eine Aufhebung des Embargos forderten, die schon wenige Monate nach der Operation "desert storm" feststellen mußten, daß Embargo und Krieg die Zivilbevölkerung treffen.

IPPNW (Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs) zB berichteten schon Ende 1991 ausführlich über Unterernährung, sowie Cholera- und Typhusepidemien infolge von Krieg und Embargo., nicht aber Saddam Hussein und seine Geheimdienste, wird die Gefahr einer gleichzeitigen Anerkennung Saddam Husseins mit der Aufhebung des Embargos nun zum Albtraum.

Daß es weder dem russischen Außenministerium, noch der französischen Regierung und erst recht nicht Hans Sterken, die sich alle für eine Aufhebung des Embargos stark machen, um das Leiden der irakischen Zivilbevölkerung geht, ist keine großartige Erkenntnis. Jahrelang haben sie den irakischen Diktator mit Waffen und militärischem Know-how versorgt, mit dem Giftgas, mit dem er im Norden des Iraks seinen massenhaften Mord an der kurdischen Bevölkerung beging. Deshalb verwundert es auch nicht, daß keine dieser Regierungen ein Interesse zeigte, den befreiten kurdischen Norden des Iraks zu unterstützen; weder politisch noch finanziell. In Folge einer rapiden Verarmung der Bevölkerung und einer innenpolitischen Zerüttung, deren Ursachen vor allem im UN-Embargo zu suchen sind, war es hier im Sommer zu einem heftigen Bürgerkrieg zwischen den beiden größten Parteien gekommen. Das Embargo destabilisiert die gesamte Region und macht die Bevölkerung abhängig von der Hilfe internationaler Organisationen. Denen wird jedoch schon seit längerem der Geldhahn zugedreht. Sollte Saddam Hussein mit der Aufhebung der UN-Sanktionen international anerkannt werden, wäre die befreite kurdische Region wieder einmal am Ende angelangt. Was der kurdischen Bevölkerung in diesem Fall bevorsteht, hat sich gezeigt, als das irakische Militär unter den Augen der "alliierten Schutztruppen" kurdische Städte mit Napalm und Giftgas bombardierte und wahllos die Flüchtlingsströme in Richtung Grenze von Hubschraubern aus beschoss.

Trotz größter Sorgen um das Wohlergehen der irakischen Zivilbevölkerung wurden die langen Schlangen von asylsuchenden Irakern, die man noch 1992 vor der deutschen Botschaft in Amman/Jordanien beobachten konnte, abgewiesen. Was ist mit den schätzungsweise über 400.000 Flüchtlingen aus dem Südirak, die unter schlechtesten Bedingungen in Camps auf der iranischen Seite leben?

Was soll man also fordern? Die Aufhebung des Embargos, mit der Konsequenz, daß Saddam Hussein wieder international anerkannt weiter mordet? Die Beibehaltung des Embargos, das den gesamten Irak in eine wirtschaftliche und soziale Katastrophe gestürzt hat?

Wenig Hoffnung für den Irak, oder wie ein irakischer Kurde auf der Flucht vor den Truppen Saddam Husseins der in diesem Frühjahr ermordeten Journalistin Lissy Schmidt sagte: "Wie sollen wir das bewerten, daß die Staaten, die Saddam Hussein die Waffen gegeben haben, jetzt über humanitäre Hilfe reden? (...) Unser Drama ist kein Schicksal, sondern das Produkt politischer Machtverhältnisse."

Thomas Uwer (Mitarbeiter der Hilfsorganisation wadi)
(erschienen in analyse & kritik 372, 16.11.1994)

 


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