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Souveräne Briganten

Der Krieg zwischen den kurdischen Parteien weitet sich aus

"Ja, es herrschte jetzt Wahnsinn und grasse Gewalt. Nachdem (sie) die Gemäßigten fast alle beseitigt hatten, zerfleischten sie sich untereinander. Simon Bar Giora bekämpfte den Eleasar, und Eleasar den Johann von Gischala, und Johann wieder den Simon, und zusammen hielten sie nur gegen eines: gegen die Vernunft." Der Makkabi-Aufstand gegen die Römer, den Lion Feuchtwanger [1] als eine groteske Mischung von Fanatismus, ideenloser Machtgier und bandenhafter Marodesse beschrieb, endete in der Zerstörung Jerusalems und der Versklavung seiner Bevölkerung. Noch während die Übermacht römischer Armeen den Belagerungsring um die Stadt enger und enger zog, errichteten die Milizen im Inneren der Mauern eine Terrorherrschaft, keilten sich um die letzten Vorräte der Stadt und stachen nieder was nach Stand oder Überzeugung dem letzten Raubzug der Milizionäre im Wege stand. Die Stadt war ein Gefängnis, das man als Toter nur verlassen konnte und dessen Insassen unter einem Zustand litten, der keine Alternative, keine Vernunft zuließ.

Am 14. Oktober meldete Reuters einen erneuten Ausbruch innerkurdischer Kämpfe in Irakisch-Kurdistan, kurz nachdem türkische Truppen zur Unterstützung ihrer Mandats-Miliz KDP (Kurdische Demokratische Partei) in den Nordirak einmarschiert waren. Milizen der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) hatten einige der KDP-Stellungen überrannt und eine Offensive auf die Stadt Shaqlawa gestartet. Das nur wenige Kilometer entfernte Hauptquartier der KDP und die Stadt Salahuddin wurden mit russischen Boden-Raketen beschossen, die vermutlich der Iran geliefert hat. Irakische Elitetruppen, iranische Pasdaran-Kämpfer (Revolutionswächter) und die syrische Armee marschierten an den Grenzen auf. Der Sprecher des gesamt-irakischen Oppositionsbündnisses INC (Iraqi National Congress), der nur selten die Contenance verliert, sprach von den heftigsten Kämpfen seit der Anfal- Kampagne, jener Militäroperation während derer die irakische Armee kurdische Dörfer und Städte im Nordirak mit Giftgas bombardierte und mehr als 200.000 Menschen ermordet wurden. So sehr sich ahistorische Vergleiche verbieten [2], so legen doch die zu Banden und korrupten Milizen deprivierten Parteien Irakisch-Kurdistans, der ökonomische und militärische Belagerungszustand und die Hoffnungslosigkeit, es könne sich eine relevante gesellschaftliche Kraft entwickeln, die in der Lage wäre, Interessen zu vertreten, die jenseits von Stamm, Region und Miliz liegen, den Vergleich nahe. Sieben Jahre Embargo, ein zerstörtes Land und eine Bevölkerung, die zum größten Teil aus Flüchtlingen besteht, haben ein Regime der Warlords hervorgebracht, deren Protagonisten nicht einmal mehr der Logik des Marktes, sondern nur noch dem Drang folgen, vor dem anstehenden Desaster abzuräumen. So fällt der Talabani über den Barzani her, während der Barzani den Öcalan bekämpft. Ein Zustand, der keine Alternative, keine Vernunft zuläßt.

Die Umkehrung der Verhältnisse, die zur Folge hatte, daß aus der kurdischen Befreiung eine Tyrannei der Briganten wurde, hat jene zu den letzten Vertretern der Vernunft avancieren lassen, deren strategisches Kalkül einen Großteil der Verantwortung für die desaströse Situation trägt. Von der Allianz der Golfkriegs-Koalition sind nur die USA und Großbritannien geblieben, die als letzte der Staaten mit ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat nach wie vor an der Beseitigung des Regimes Saddam Husseins festhalten. In eiliger Mission arrangierte das US-Außenministerium via Ankara einen Waffenstillstand zwischen den kurdischen Fraktionen. Ein verzweifeltes und hoffnungsloses Unterfangen: Keine 48 Stunden später brachen die Kämpfe erneut aus, diesmal mit vehementer Unterstützung der türkischen Armee und heftiger als jemals zuvor.

Am 23.10.97 wurden Beobachtern zufolge Stellungen der PUK von türkischen F-16 Fliegern mit Napalm bombardiert [3]. Zur gleichen Zeit rückten türkische Panzerdivisionen über den Zab-Fluß im Zentrum der Region bis an die Frontlinie vor und beendigten vorerst alle Bemühungen um einen Waffenstillstand. Die Rechtfertigung für die militärische Operation gegen die PUK, mit der Ankara vor allem eigene diplomatische Kanäle verstopft hat, sagt einiges über die Verfassung der Region aus: Am 24.10.97 erklärte die türkische Militärführung, sie habe in die Kämpfe eingegriffen, da ihr Bündnispartner Barzani gedroht habe andernfalls das irakische Militär zur Hilfe zu rufen. Die Waffenbruderschaft zwischen der irakischen Führung und Barzanis Miliz, die im September 1996 für kurze Zeit fast die gesamte kurdische Region des Nordiraks unter die Kontrolle seiner Partei KDP brachte, stellt sich als anhaltende Niederlage für die us-amerikanische Irak-Politik heraus. Die Drohung einer erneuten Kooperation hat nicht nur das amerikanisch-türkische Bündnis schwer belastet, sondern die diplomatischen Interventionen der USA in die Region nahezu unmöglich gemacht. Über die Türkei die faktisch zur Kriegspartei geworden ist, hat auch ihr Bündnispartner USA einen schweren Stand als neutraler Mediator zwischen den Milizen. Das "progressive Bündnis" aus PUK, PKK, kurdischer Hisbollah, nationaler und sozialistischer Partei befindet sich nun in einer verzweifelten militärischen Unterlegenheit, die sie nur in weitere Abhängigkeit von der Unterstützung durch den Iran macht. Nicht nur diese Ost-Anbindung der kurdischen Parteien, die sich für die PUK während der gemeinsamen Offensive von irakischem Militär und Barzanis Milizen 1996 als lebensrettend erwies [4], macht ein Bündnis für die USA schlicht unmöglich. Der zusätzliche Waffenbund mit der PKK, bringt die PUK in direkte Gegnerschaft zur US-Regierung. Diese hat in der Vergangenheit wiederholt klar gemacht, daß sie die Bekämpfung der PKK als ihr wichtigstes Anliegen betrachtet.

Am 28.10.97 meldeten die Nachrichtenagenturen, Sicherheitskräfte der irakischen Regierung hätten die Mitarbeiter der UN-Komission zur Überwachung der nach UN-Sicherheitsrat-Resolution 688 vereinbarten Abrüstung chemischer, biologischer und atomarer (bzw. atomwaffenfähiger) Waffen im Irak bei der Ausübung ihrer Arbeit behindert. Das Spielchen ist nicht neu: Immer wieder wurden UN-Kommissionen behindert; chemische und biologische Waffen, bzw die zu ihrer Herstellung benötigten Materialien wurden wiederholt an sichere Orte verbracht und die Kommission ständig bei der Ausführung ihrer Arbeit behindert. Dies alleine erklärt schon, warum die zuständigen Kommissare auch sechs Jahre nach Antritt ihrer Arbeit immer noch vor einer unübersichtlichen Menge potentieller Kampfstofflager stehen. In der gleichen Zeit wurde noch nicht eine einzige Inspektion der Gefängnisse von der irakischen Regierung zugelassen, obwohl die selbe Resolution auch die Einhaltung allgemeiner Menschenrechte, sowie den Zugang internationaler Beobachter zu allen Bevölkerungsgruppen fordert. Nicht um die Inspektionen, die sicherlich erfolgreicher wären - würde das UN-Kommissariat auch bei den deutschen Firmen nachforschen, die in erheblichem Umfang Material zur Herstellung chemischer und biologischer Kampfstoffe geliefert haben - sondern um die us-amerikanischen Beteiligung an den UN-Kommissionen dreht sich der Streit. Den Vorwurf der irakischen Regierung, die us-amerikanischen Mitarbeitern der überwachenden UNSCOM (UN-Special Commission) arbeiteten für den CIA kann man getrost als Unfug abtun: Die Ergebnisse der UNSCOM müssen ohnehin den im UN-Sicherheitsrat vertretenen Regierungen regelmäßig en detail vorgelegt werden. Vielmehr nutzt die irakische Regierung zur Zeit die schwache Position der US-Regierung und die Uneinigkeit zwischen den ehemaligen Golfkriegs-Alliierten aus. Nachdem Frankreich über die rumänische Botschaft mindestens seit 1994 normalisierte diplomatische Kontakte mit der Hussein-Regierung pflegt, hat Russland in den vergangenen zehn Monaten zwei bedeutende Verträge mit der Baghdader Regierung abgeschlossen, die russischen Gesellschaften die Alleinrechte an der Ausbeutung irakischer Ölfelder zusprechen. Beide Regierungen haben ein vehementes Interesse daran, ihre eigene Nah-Ost-Politik vom us-amerikanischen Einfluß zu befreien. Während das französische Außenministerium über das ehemalige Mandatsgebiet Syrien eine Anbindung des Iraks an das pro-französische/anti-amerikanische Lager betreibt, versucht Russland über die ökonomische Wiedereingliederung des Iraks Druck auf den UN-Sicherheitsrat auszuüben. Denn solange sich das us-amerikanische Konzept mit den Beschlüssen des UN-Sicherheitsrates deckt, wird die us-amerikanische Hegemonie am Golf nicht zu brechen sein. Mit der momentanen Weigerung der irakischen Regierung, amerikanische Mitarbeiter in der UNSCOM zu akzeptieren, ist also zuallererst der Versuch verbunden, die USA aus ihrem ureigenen Terrain zu vertreiben: Wenn die US-Regierung auf einer Fortführung des Embargos besteht, dann muß man sie eben aus den das Embargo kontrollierenden Institutionen drängen. Folgerichtig setzt die Mehrheit der im UN-Sicherheitsrat vertretenen Staaten auf Verhandlungen mit dem irakischen Regime, während die us-amerikanische Ankündigung, die Einhaltung der Embargobedingungen notfalls militärisch zu erzwingen, lediglich von der britischen Regierung unterstützt wird.

So ist es auch nicht reine Koinzidenz, daß der irakische Vorstoß genau zu einem Zeitpunkt erfolgt, zudem der kurdische Nordirak an inneren Auseinandersetzungen zu implodieren droht. Der Rückzug der Golfkriegs-Allianz hat dort erst zu jenem Machtvakuum geführt, das den befreiten kurdischen Gebieten oft bescheinigt wurde. Denn obgleich die us-amerikanisch dominierte Politik nach dem Golfkrieg dazu führte, daß sich die demokratisch legitimierte Autonomieregierung nicht konsolidieren konnte und an deren statt sich jene Tyrannei der Briganten entfaltete, die den aktuellen verzweifelten Bandenkrieg nach sich zog, zielte sie sehr wohl auf eine innerirakische Alternative. Als nachrichtendienstlicher Stützpunkt und Destabilisierungsfaktor gegenüber dem Hussein-Regime war der kurdische Nordirak nicht Machtvakuum, sondern vielmehr die Operationsbasis jenseits der - wie sich jetzt zeigt - unzuverlässigen UN-Resolutionen. Die politische und ökonomische Implosion des kurdischen Nordiraks ist zwar eine direkte Folge der us-amerikanischen Politik, doch erst der Wegfall der Ordnungsmacht USA hat jene Kräfte freigesetzt, die zuvor durch die Anti-Irak-Koalition gebunden waren. Kurzfristig zumindest spielt die Destabilisierung der Region jenen zu, die mit der us-Regierung um die Hegemonie am Golf konkurieren. Daß sie zukünftig in der Lage sein werden, den entfesselten Bandenkrieg ohne Husseins Armeen wieder unter Kontrolle zu bringen ist mehr als zweifelhaft.

Als gelte es, wenigstens am Ende Souveränität zu beweisen, in dem man den Laden selbst dicht macht, stürzen sich die kurdischen Milizen in einen aussichtslosen und verzweifelten Kampf gegeneinander. Während die verelendete Bevölkerung in Agonie versinkt, mobilisieren die Parteien ein letztes mal alle Reserven. Aus dem PUK-Radio war zu hören: "Freie und mutige Peshmerga, Gott segne Euch und Eure starken stählernen Arme, die die Köpfe der Verräter und Lakaien abschlagen, so daß sie zur Vernunft kommen mögen." Nicht untätig blieb auch die Propaganda-Abteilung der KDP: "Bis zum heutigen Tag bekämpft die PKK das Volk Kurdistans (...) und hat mit ihrem Vorgehen bewiesen, daß sie ein Instrument in den Händen von Ausländern ist. Sie verwirklicht eine große multilaterale Verschwörung gegen den Willen und die Bestrebungen unseres Volkes." Ein Zustand, der keine Vernunft und keine Alternative zuläßt.

Thomas Uwer, wadi e.V.
(erschienen in ak 408, 20.11.1997)

Anmerkungen

[1] Lion Feuchtwanger, "Der jüdische Krieg"

[2] Hier sei nur an das Bonmot Talabanis erinnert, der 1994 in der kurdischen Provinzstadt Kirkuk "Jerusalem Kurdistans" entdeckte.

[3] Der INC bestätigt dies in zwei Fällen.

[4] Nachdem die größte Stadt des PUK-kontrollierten Südens Suleymaniyah von der KDP erobert wurde, flohen große Teile der PUK-Kader und Milizen in den Iran.


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