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Bauernbewegung in Irakisch-Kurdistan

Drei Jahre nach der Befreiung Irakisch-Kurdistans von der Baath- Diktatur scheint das Experiment Kurdistan an heftigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden größten kurdischen Parteien der Region zu zerbrechen. Die Ursachen für diesen Anfang Mai ausgebrochenen Konflikt liegen jedoch nicht in der Unfähigkeit der Kurden einen demokratischen Staat zu bilden. Im Gegenteil: Die vor zwei Jahren freigewählte Regierung wurde durch Nicht-Anerkennung und wirtschaftliche Destabilisierung von Außen in den Ruin getrieben. Noch immer unterliegt die befreite kurdische Region im Nordirak einem Doppel-Embargo (Embargo seitens der UN plus Embargo seitens des Iraks) und bisher wurde der von Kurden gewählten Regierung keinerlei Status zugesprochen. Unter katastrophalen Versorgungsbedingungen gerät schnell ein lokaler Konflikt zur bewaffneten Auseinandersetzung größeren Ausmaßes. Daß der jüngste Bruderkrieg durch eine Auseinandersetzung zwischen Feudalherren und Bauern ausgelöst wurde, ist allerdings kein Zufall.

Die Auseinandersetzungen begannen, als in der Pishder-Region [1] Feudalherren mit Gewalt ihre vermeintlichen Rechte gegenüber den Bauern durchsetzen wollten. Bei den Auseinandersetzungen um Land starb ein PUK-Funktionär; die Feudalherren gehörten zur KDP. Damit eskalierte ein lang schon anhaltender Konflikt und übertrug sich nun auf den Machtkampf zwischen den beiden großen Parteien. Schon im Mai 1993 war es in der selben Region zu Auseinandersetzungen gekommen, die erst nach dreitägigen heftigen Kämpfen zwischen Großgrundbesitzern und Bauern von Truppen der Kurdistan Front [2] beendet werden konnten. Im März und April diesen Jahres kam es zu ähnlichen Gefechten in der Region um Suleymania. Im Zentrum der Auseinandersetzung stand dabei das irakische Landwirtschaftsreformgesetz Nr.90 von 1975, das de jure in Kurdistan fortbesteht, faktisch aber von den immer mächtiger werdenden Großgrundbesitzern unterlaufen wird.

Das Landwirtschaftsreformgesetz Nr.90 galt 1975 formell für den gesamten Irak. Durch dieses Gesetz verloren die Großgrundbesitzer ca. zwei Drittel ihres vormaligen Landes und erstmals wurden Kleinbauern in der Gesetzgebung berücksichtigt. Das Reformgesetz Nr.90 war das letzte Gesetz in einer Reihe von Reformen, die schrittweise die Situation der Bauern verbessern sollte; schließlich waren diese schon vor der Revolution von 1958 maßgeblich am Widerstand gegen das alte Regime beteiligt. Durch die großflächige Dörferzerstörung, die 1975 begann und 1988 in der sogenannten Anfal-Offensive Saddam Husseins gipfelte, war dieses Gesetz jedoch zumindest im Nordirak de facto bald hinfällig geworden. Große Gebiete waren bis zur Befreiung militärisches Sperrgebiet und noch heute sind viele Regionen vermint. Mit Hilfe internationaler Hilfsorganisationen kehren seit 1991 immer mehr Bauern in ihre Dörfer zurück und mit ihnen die Feudalherren. Teilweise werden Bauern mit Waffengewalt an der Rückkehr gehindert.

Die Politik der Feudalherren baut auf eine lange Tradition von Kollaboration und skrupelloser Machtpolitik. Nach der irakischen Revolution von 1958 [3] verließen viele Großgrundbesitzer das Land, da ihre Schicht die gestürzte Monarchie maßgeblich getragen hatte. Nachdem 1971 die kurdischen Aufstände wieder begannen, kehrten sie zurück und unterstützten die kurdische Bewegung. Als sich deren Zerschlagung abzeichnete, verhandelten viele von ihnen ab 1975 mit der Baghdader Regierung und unterstützten diese im Krieg gegen den kurdischen Widerstand. Mittlerweile stehen die meisten wieder auf der Seite der "kurdischen Revolution".

Die Befreiung Kurdistans aber wurde zum großen Teil von Bauern getragen. Dennoch gewinnen die Feudalherren immer mehr an Macht und haben einen großen Einfluß vor allem auf die KDP (Demokratische Partei Kurdistans).

Die Landfrage ist in Kurdistan ein brisantes gesamtgesellschaftliches Problem. Durch das Doppel-Embargo bedingt liegt die weiterverarbeitende Industrie in Irakisch-Kurdistan bis auf wenige Ausnahmen brach. Große Teile dieser Region sind zudem traditionell landwirtschaftlich strukturiert; die Landwirtschaft ist für viele Menschen die einzige Einkommensquelle.

Gleichzeitig destabilisiert das Embargo den landwirtschaftlichen Sektor. Durch das Einfuhrverbot von Ersatzteilen für Fabrikanlagen können landwirtschaftliche Produkte nicht weiterverarbeitet oder konserviert werden. Über Schmugglerpfade wird deshalb ein großer Teil der Produktion zu Dumpingpreisen ins benachbarte Ausland ausgeführt, während im Winter für überhöhte Schwarzmarktpreise in diesen Ländern produzierte Konserven und Fertigprodukte auf den kurdischen Märkten auftauchen.

Zugleich mit dem rasanten Ansteigen der Preise, verdient eine parasitäre Klasse von Händlern am Wohlstandsgefälle zwischen Stadt und Land. Während auf dem Land das Lebensniveau durch die Eigenerzeugung von Nahrungsmitteln vielfach noch relativ erträglich ist, leidet die städtische Bevölkerung doppelt: Unter überhöhten Schwarzmarktpreisen und einer Arbeitslosenquote von teilweise 90-95%. Mieten müssen gezahlt, Lebensmittel gekauft werden. Letztere werden von Händlern zu minimalen Preisen auf dem Land gekauft und bis zu fünffach teurer auf den städtischen Märkten angeboten.

Die zunehmende Macht der Feudalherren stellt vor diesem Hintergrund eine existentielle Bedrohung der Menschen dar. Nicht zuletzt werden die schon schwierigen Rücksiedlungsprojekte unterminiert. "Was wird sein, wenn wir zurückkehren?" sagt eine Frau in der Sammelstadt Schorisch, deren Mann 1988 von der irakischen Armee verschleppt wurde, "Unsere Kinder sind hier aufgewachsen. Wir haben eh schon Probleme und wir haben Angst vor der Gewalt der Aghas. Sie haben Bauern erschossen und Häuser zerstört."

Seit mittlerweile einem Jahr formiert sich eine Bauernbewegung, die unabhängig von Parteien die Rechte der Bauern auf einer politischen Ebene durchsetzen will. Vorallem geht es ihnen um die Durchsetzung des Reformgesetzes Nr.90. Vielen Bauern aber ist dies nicht genug. In diesem Gesetz wurden erstmals zwar Kleinstbauern berücksichtigt, die große Zahl der besitzlosen Familien jedoch ging weiter leer aus. Noch immer werden genossenschaftliche Ideen von einer Großzahl der Bauern unterstützt. Kurze Zeit nach 1975 nämlich gab es im Nordirak eine große Anzahl genossenschaftlicher Betriebe (Gouvernement Suleymania 128, im Badinan 60, um Arbil 90 [4]), die damals mit Erfolg eine flächendeckende Nutzung neu0r Maschinen einführten und die übriggebliebenen Feudalherren vom Markt verdrängten.

Auf mehreren regionalen Bauernkongressen wurde beschlossen eine Gewerkschaft oder eine Partei der Bauern zu gründen. Die Feudalherren haben die Gefahr erkannt und die Auseinandersetzungen laufen mit zunehmender Härte ab. Ein Bauer in Darbandikhan berichtete: "Unsere Vorstellung ist es eher eine politische Kraft darzustellen, als Partei oder Organisation. Im Moment aber sehen wir uns ungeschützt der Gewalt der Großgrundbesitzer gegenüber und deshalb haben wir uns organisiert, in Bauernkomitees, wie es sie schon vor der Revolution von ´58 gab. Wir möchten nicht kämpfen, aber die Situation läßt uns keine Wahl." Aber auch für die großen Parteien dürfte eine Organisation der Bauern eine Bedrohung darstellen, da sie einiges an Macht und Einfluß in den ländlichen Gebieten verlieren würden. Denn nicht zuletzt könnte eine Organisation, die sich als überregionale Interessenvertretung versteht, das weitgehend auf Stammesinteressen und regionale Zugehörigkeit basierende Machtverhältnis durcheinander bringen.

"Wenn die Lebensbedingungen der Bauern jetzt nicht endlich besser werden, hat die Revolution ihre eigenen Interessen verraten." erklärt Kerim Ahmed, Mitglied des Politbüros der KP (Kommunistische Partei Irak): "Die kurdische Revolution hat auf den Schultern der Bauern stattgefunden. Die Bauern könnten jederzeit einen neuen Aufstand machen und sie haben 1991 gelernt, wie das geht. Und es ist eine große Bewegung. Die Parteien können sie nicht kontrollieren, höchstens vereinnahmen." Hier müßte die Regierung Kurdistans auf Seite der Bauern eingreifen, ist aber unter den momentanen Bedingungen des Embargos zu schwach. Die chronische Unterversorgung und die permanente Bedrohung durch die Truppen der feindlich gesinnten Nachbarländer, sowie des restlichen Iraks, lassen unter anderem dubiose gesellschaftliche Gruppen, Stammesstrukturen und Machtkonglomerate immer mächtiger werden. Diese lösen ihre Interessenkonflikte nicht über staatliche Institutionen, sondern im Notfall mit Waffengewalt.

Daß die Regierung Irakisch-Kurdistans aber von westlichen Staaten unterstützt würde, ist nicht zu erwarten. Nach dem jahrelang, nicht zuletzt durch deutsche Giftgaslieferungen, Ausbildung des irakischen Geheimdienstes und Wirtschaftshilfe, der Krieg der irakischen Regierung gegen die Kurden unterstützt wurde, drängen allen voran Deutschland und Frankreich auf eine Wiederanerkennung der irakischen Baath-Diktatur.

Für die Kurden würde dies nicht nur das Ende des selbstverwalteten, befreiten Gebietes bedeuten, sondern auch das Scheitern jedes Versuches einer demokratischen Opposition.

Dieser Artikel wurde verfasst von Thomas Uwer, Mitarbeiter von WADI e.V.

Anmerkungen:

[1] Die Region Pishder liegt nord-östlich Suleymanias an der iranischen Grenze.

[2]Unter dem Mandat aller an der Regierung beteiligten Parteien wurden die Guerillaverbände einzelner Parteien und Gruppen größtenteils aufgelöst und einer kurdischen "Armee" unterstellt.

[3] 1958 wurde die irakische Monarchie von einer Gruppe von Generälen unter Abdul-Karim Kassim gestürzt.

[4]Die Anzahl der genossenschaftlichen Betriebe wurde von mehreren Vertretern unterschiedlicher Gruppen bestätigt. Da es in Kurdistan keine offiziellen Statistiken gibt, kann eine nachweisbar genaue Zahl für alle Gouvernements nicht genannt werden.


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