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Bündnis im Bandenkrieg

Die türkische Armee richtet sich im Nordirak ein

Ende September marschierten erneut rund 10.000 türkische Soldaten in den kurdischen Nordirak ein. Damit wurde deutlich, was seit der letzten Invasion im Frühjahr dieses Jahres zu befürchten war: Die türkische Armee wird zu einer dauerhaften Besatzungmacht und Schutztruppe der irakisch-kurdischen Miliz KDP (Demokratische Partei Kurdistans), die den nördlichen Teil (Badinan) der Region kontrolliert. An den Partei- und Bandenfehden innerhalb der Region hat sich indes nichts geändert.

Seit 1994 waren wiederholt türkische Truppen in die selbstverwaltete Region eingedrungen, um Stellungen der türkisch-kurdischen "Arbeiterpartei" PKK anzugreifen und hatten mit ebenso monotoner Regelmäßigkeit wie Naivität deren Zerschlagung angekündigt. Allen türkischen Ankündigungen zum Trotz hält diese ihre Aktivitäten im kurdischen Nordirak weiterhin aufrecht. Seit der Frühjahrsoffensive dieses Jahres allerdings scheint sich ein neues Konzept bei der türkischen Armee durchgesetzt zu haben. Noch 1994 und 95 beschränkten sich die türkischen Militäroperationen auf die Grenzregion, um einen sogenannten Sicherheitsgürtel gegen Kämpfer der PKK einzurichten (der in der Praxis in erster Linie zum Todesstreifen für Flüchtlinge wurde). Bis dato hatte man es der verbündeten kurdischen Miliz KDP überlassen, die lästigen Grenzgeschäfte, die Vertreibung der PKK-Verbände und die militärische Sicherung der Region zu garantieren. Gerüchteweise bezieht diese seit 1995 für jeden daran beteiligten Kämpfer Geld aus der Türkei. Als in diesem Frühjahr rund 50.000 türkische Soldaten mit vielen hundert Panzern und schwerer Artillerie in die Region vorrückten, belegte alleine die Größenordnung, daß die türkische Armee von nun an gedachte, das Kriegsgeschäft im kurdischen Nordirak selbst in die Hand zu nehmen.

Diesmal begnügten sie sich nicht mehr mit einem Grenzstreifen, sondern drangen tief ins Landesinnere vor. Entlang der gesamten Grenzregion, sowie im Landesinneren wurden dauerhafte Militärcamps eingerichtet. In der kurdischen Hauptstadt Arbil demonstrierte sie gleich zu Anfang , wie in Zukunft mit mutmaßlichen PKK-Sympathisanten umgegangen werde: Mehr als einhundert Personen wurden umgehend verhaftet, wurden hingerichtet oder verschwanden; den Meldungen des irakischen Oppositionsbündnisses INC zufolge wurden verdächtige Frauen vor ihrer Hinrichtung auf offener Straße vergewaltigt. Während sich die Verbände der PKK, die nicht von der türkischen Armee überrascht worden waren, vor der militärischen Übermacht in den Iran und den von Saddam Hussein kontrollierten Teil des Irak zurückzogen, richtete sich das türkische Militär in der neu dazugewonnen Ausnahmeprovinz ein. Zwar - so verlautbarte KDP-Führer Barzani - seien die Truppen "zum Großteil wieder abgezogen" - über die Größe des kleineren, verbliebenen Teils der 50.000 Mann schwieg er aber genauso beharrlich wie seine türkischen Bündnispartner. Die nun eingerückten 10.000 Soldaten konsolidieren nur den bestehenden Besatzungsstatus. So muß der Barzani sich offenkundig damit abfinden, daß die Truppen seines Bündnispartners zum dauerhaften Gast in seinem Lande werden.

Die Auseinandersetzungen zwischen KDP und PKK sind damit nicht beendet. Die Vielzahl türkischer Soldaten im kurdischen Nordirak hat die KDP nicht ihrer Verpflichtung zum Kampf gegen die "Arbeiterpartei" enthoben. Nach wie vor halten PKK-Verbände wichtige Stellungen in der Region, die sie der KDP bei Kämpfen 1996 abgenommen hatten. Damals hatten die schlechtmotivierten Milizen Barzanis nicht gut ausgesehen gegen die zahlenmäßig unterlegenen PKK-Milizen und die Kontrolle über die Region um Amadiya verloren. Barzani traf mit seinem "Bruderkrieg" gegen die PKK zugleich auf wenig Gegenliebe bei der Bevölkerung. Ein naheliegendes Phänomen, daß den PKK-Anführer Abdullah Öcalan zu folgender Prognose verleitete: "Die PKK versucht den Schritt des Widerstandes mit dem Volk gemeinsam zu tun. Wenn sie es wollen, kann man mit den Staaten in der Region auf der Basis von Unabhängigkeit und Antiimperialismus ein unterstützendes und solidarisches Bündnis eingehen. (...) Sie sagen, daß das Blutvergießen beendet werden soll. [0]" Die Analyse des Öcalan besagt dabei vor allem eines: Daß die fällige Regelung der Verhältnisse im kurdischen Nordirak nicht von den irakisch-kurdischen Parteien und ihren Führern, also von Barzani, Talabani und Konsorten zu erwarten ist. Den Rekurs auf das "Volk" mag man getrost als ideologisch notwendige Verbrämung strategischer Interessen abtun, das Gegenstück quasi zur völkischen Ideologie der Türkei, die ihre Militärpolitik im Irak mit angeblichen Ansprüchen auf die osmanische Provinz Mossul verkleidet [1]. Für die PKK nämlich, die sich seit Beginn der türkischen Großoffensiven 1994 auf permanentem Rückzug befindet, ist Irakisch-Kurdistan der Ort, von dem sich nicht weniger als das Überleben als geschlossene militärische Formation erhoffen läßt.

Innerhalb Irakisch-Kurdistans verfügt die PKK zwar sicherlich über Sympathien bei der Bevölkerung, ein Ausbau ihrer politischen Strukturen ist der kurdischen "Arbeiterpartei" allerdings niemals gelungen. Sehr früh schon (1992) wurde der irakisch-kurdische Ableger der Partei vom damals noch existierenden kurdischen Regionalparlament verboten. Zwar wird die PKK im PUK-kontrollierten Süden nach wie vor geduldet, doch verfügt sie über keinen weitergehenden Status als alle anderen, nicht-irakischen Oppositionsparteien, geschweige denn über ein politisches Mandat. Das strategische Bündnis mit der PUK, die die PKK lediglich toleriert, sofern diese sich nicht in ihre inneren Angelegenheiten einmischt, hat die Partei von der politischen Realität Irakisch-Kurdistans weitestgehend isoliert. So sucht man auch in der für Irakisch-Kurdistan produzierten ERNK-Zeitung Welat vergeblich nach Standpunkten zu den politischen Konflikten innerhalb der Region. Daß Öcalan seinen Kontrahenten Barzani besser verstehen müßte, als das Zitat verrät, dafür sprechen seine eigenen Bündnisse mit dem syrischen Führer Hafiz Al-Assad, dessen irakischen Kollegen Saddam Hussein und dem iranischen Regime, die alle ihre eigene kurdische Opposition verfolgen oder das jüngste Kampfbündnis mit der kurdischen Hisbollah.

Derweil machen die Verhandlungen zwischen den beiden großen irakisch-kurdischen Parteien PUK und KDP keinerlei Fortschritte. Während es entlang der innerkurdischen Demarkationslinie nord-östlich Arbils immer wieder zu kleineren Gefechten kam, gerieten am Jahrestag der irakischen Invasion Anfang September Anhänger beider Parteien in Nürnberg aneinander und schlugen und stachen mit Fäusten, Knüppeln und Messern aufeinander ein. Große Teile der Bevölkerung haben ihre Wahl getroffen und ziehen die Flucht durch Minenfelder dem Leben in Irakisch-Kurdistan vor. Erst im September wurde eine Gruppe von 30 Flüchtlingen zum Opfer eines solchen Minenfelds entlang der türkisch-griechischen Grenze, mehr als 800 Flüchtlinge sind nach Angaben des INC beim illegalen Durchqueren der See zwischen der Türkei und Griechenland in den vergangenen Jahren ertrunken. Denn nicht nur die militärischen, sondern auch die politischen und ökonomischen Konzepte der kurdischen Parteien sind rundherum gescheitert. Da die kurdischen Milizführer Talabani (PUK) und Barzani (KDP) ohne einander so wenig können, wie miteinander, haben sich in den jeweils von ihnen kontrollierten Gebieten Gesellschaftsformationen verfestigt, die wenig zukunftsträchtig sind. Eine extrem verarmte Majorität wird von Partei- und Milizverbänden regiert, die paranoid über jede sich rührende Opposition wachen. Da sie außer einer in Subsistenz erstickten Landwirtschaft über keinerlei Warenproduktion verfügen, besteht die Wirtschaft aus der Akkumulation von internationalen Hilfsmitteln und einem Wegezoll-ähnlichen Partizipieren an der Mehrwertproduktion anderer. Hier hat sich vor allem Miliz-Führer Barzani hervorgetan, der die türkisch-irakische Grenze kontrolliert und damit den Fluß irakischen Öls in die eine, den Strom türkischer Waren in die andere Richtung. Sein volkswirtschaftliches Kapital beschränkt sich lediglich darauf, daß ein paar hundert Kilometer Pipeline und rund fünfzig Kilometer Straße durch das von der KDP kontrollierte Gebiet verlaufen. Dafür, daß die Pipeline nicht gesprengt, die Straße nicht gesperrt wird, bekommt Barzanis Miliz Geld. Entsprechend verteilt sich der aus dem Wegezoll-Kapitalismus geschöpfte Reichtum: An ihm profitiert, wer mittels der Partei an eines der vielen Transitgeschäfte gekommen ist, in der Miliz beschäftigt wird und marginal, wer an der kleinen Zulieferwirtschaft der beiden partizipiert. Die KDP ist natürlich darauf bedacht, jede militärische Bedrohung des sicheren Warenlaufs auszuschalten. (Im PUK-kontrollierten Süden, den weder Pipelines noch LKW-Schlangen durchqueren, sieht es wirtschaftlich schlechter aus. Die iranische Regierung, als militärischer Bündnispartner der PUK, kann auf den wenig lohnenden Grenzhandel mit den irakischen Kurden sehr wohl verzichten.) Denn Barzanis Wirtschaft funktioniert nur solange, wie es keinen sicheren und vor allem billigeren Weg für Öl und Waren gibt. Zwischen Syrien und Jordanien wurde unlängst ein neuer Grenzübergang eröffnet, über den türkische Transitladungen in den Irak abgefertigt werden. Beunruhigender allerdings dürfte für Barzani die Annäherung zwischen den ehemals verfeindeten Baath-Staaten Syrien und Irak sein. Bei einem Bündnis der beiden Regierungen wäre es nicht länger nötig, das irakische Öl über die Türkei auszuführen, ein direkter Weg zu syrischen Mittelmeerhäfen stünde offen. [2]

So wackelig wie das wirtschaftliche System der Region ist auch ihr politisches. Vor dem Hintergrund der massenhaften sozialen Deklassierung hat sich ein instabiles System herausgebildet, innerhalb dessen die Sicherung des Gleichgewichts zwischen den Parteien alle politischen Initiativen bindet. Hier gelangt jeder zu Einfluß, der dank ausländischer Protegierung genug Leute unter Waffen halten kann, um das Gewicht zu Gunsten einer Seite zu verlagern. Der latente Bürgerkrieg, der in Wirklichkeit ein Bandenkrieg ist, hat jede Äußerung von Klasseninteressen und alle emanzipatorischen Ansätze des Einzelnen unterminiert. Gespenstern gleich sind die gesellschaftlichen Formationen der dunkelsten Vorgeschichte, die Stämme und Clans Irakisch-Kurdistans, wieder auferstanden und verwandeln als bis an die Zähne bewaffnete Milizen den Klassenantagonismus in einen Krieg der Warlords. Entgegen der Analyse des Öcalan, der in Barzani lediglich einen Kollaborateur sieht, der den eigentlichen Erfordernissen zuwider handelt, ist er also vielmehr der perfekte Ausdruck der irakisch-kurdischen Verhältnisse. Trotz anders lautender Erklärungen ist auch die PKK in Irakisch-Kurdistan vor allem eine Miliz. Und auch die 2.000 Kämpfer der Hisbollah an ihrer Seite, deren Anführer Scheich Atham Barzani ein Feudalherr und verkrachter Neffe des Kontrahenten Massoud Barzani ist, führen wenig emanzipatorisches im Schilde.

Stark sind die kurdischen Parteien nur im Moment des Bündnisses: Ohne türkische, irakische und iranische Waffen hätten die kurdischen Warlords ihre Parteienkriege nicht ausfechten können und ohne deren Waren und Geld die gewonnene Hegemonie nicht halten. Diese Bündnisse aber beruhen auf keiner politischen, ideologischen oder weltanschaulischen Übereinkunft, sondern auf purem Pragmatismus. So hat die PUK im Gegenzug zur Unterstützung durch den Iran nicht nur die Aktivitäten des iranischen Geheimdienstes, sondern vor allem auch den Aufbau islamistischer Milizen (wie die Hisbollah) zu schlucken, die zugleich eine permanente Bedrohung bedeuten. Und auch daß Barzani ein weiterreichendes Interesse daran haben könnte, daß seine Ländereien zum türkischen Aufmarschgebiet werden, ist stark zu bezweifeln. Umgekehrt würde die türkische Regierung sicherlich nicht mit Barzani paktieren, würde der nicht jene für den Krieg gegen die PKK so wichtige Region kontrollieren. Für die türkische Regierung ergibt sich hieraus eine Zwickmühle: Während sie einerseits ein lebhaftes Interesse an der Beendigung der Milizpolitik innerhalb Irakisch-Kurdistans hat (da nur eine Einigung der irakisch-kurdischen Parteien unter türkischem Mandat die PKK vollständig isolieren würde), kann sie andererseits eine kurdische Lösung innerhalb ihrer direkten Einflußsphäre nicht dulden. So müht sie sich verzweifelt ab, die verfeindeten kurdischen Milizführer unter einem pro-türkischen Friedensvertrag zu einen, während sie anderereits immer befürchten muß, ein Friedensschluß könne sich gegen ihre eigenen Interessen kehren. Der einzig logische Schritt, den die türkische Regierung im eigenen Interesse unternehmen müßte, wäre die Absetzung Barzanis zu betreiben und die vollständige Kontrolle über seine Ländereien zu übernehmen. Davon hält sie zur Zeit wohl weniger die pro forma gegen die Invasion protestierende UNO ab, als vielmehr die im Irak getätigten Investitionen jener europäischen Staaten, deren Anschluß die Türkei verzweifelt sucht. Die nun stattfindende Etablierung der türkischen Armee als Besatzungsmacht unter offizieller Warung der Autorität Barzanis ist ein Kompromiß, der beiden Seiten gerecht zu werden versucht.

Barzanis Situation ist verfahren. Während er einerseits ökonomisch und militärisch das Bündnis mit der Türkei zum Überleben braucht, kann er dauerhaft nicht dulden, daß diese schleichend die Macht in seiner Region übernimmt. Schon während der Frühjahrsinvasion 1995 hatte die türkische Armee die KDP-Milizen in die Rolle von Statisten verbannt. Wer damals die türkisch-irakische Grenze bei Habur überquerte, konnte beobachten, wie der kurdische Grenzposten von türkischen Offizieren besetzt war, während den kurdischen Autoritäten zur Ausübung ihrer Amtsgeschäfte lediglich die Teeküche überlassen wurde. Ein Preis, der offenkundig bereitwillig gezahlt wurde, sofern ein verwertbarer Nutzen dabei herausspringt. Mittlerweile kommt man nicht einmal mehr an die Grenze heran.

Als schwächerer Partner im Bündnis kann Barzani gar nicht anders, als türkische Truppen "zur Hilfe rufen", wie das nachträglich eingeholte Abnicken des Milizführers zur türkischen Invasion euphemistisch genannt wurde. Daß die erneut eingerückten 10.000 türkischen Soldaten am innerkurdischen Zerwürfnis etwas ändern, diesmal die PKK zerschlagen oder die kurdischen Milizen zu einem Kurswechsel bewegen könnten, ist dennoch genauso unwahrscheinlich, wie die Möglichkeit, die Türkei könne sich ihres Mandanten Barzani entledigen. Als Betriebskapital nämlich besitzen die irakisch-kurdischen Parteien immer noch eine rund drei Millionen Einwohner starke Bevölkerung, die schon morgen wieder zu Flüchtlingen werden könnte. Sie läßt sich als Drohung gegen die Türkei genauso gut einsetzen, wie als Angebot an die europäischen Staaten, die schon lange danach gieren, die Anzahl kurdischer Asylbewerber mittels "Fluchtursachenbekämpfung" zu verringern. So zwingt die Türkei als ratlose Ordnungsmacht vor allem Barzani zur Bündnistreue: Sollten die inner-arabischen Verhandlungen zwischen Hussein und Assad und die iranisch-irakisch-syrischen Außenministertreffen tatsächlich eine neue Option ins Rennen bringen, dürfte es ihm schwerfallen, seinen mit zigtausend Mann präsenten Bündnispartner wieder loszuwerden.

Thomas Uwer, Wadi e.V.
(erschienen in analyse & kritik 407, 23.10.1997)

Anmerkungen

[0] Öcalan, A.; "Die Ausbeutung und der Verrat werden beendet werden!", in: Kurdistan Report, Nr.86, Juli 1997

[1] Rizgar Dostani schrieb im AK Nr.??? über die türkischen Großmachtträume.

[2] Tatsächlich sind sich die beiden Baath-Führer erschreckend nahe gekommen. Fataler als eine wirtschaftliche Öffnung Syriens zum Irak allerdings ist, daß die mit mehreren tausend Mitgliedern in Syrien präsenten irakischen Oppositionsparteienim Falle eines Abkommens vermutlich ans Messer geliefert würden.


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