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Aufruf an die Verantwortlichen des Parteienkrieges in Kurdistan-Irak

An:
- den Außenminister der Bundesrepublik Deutschland
- den Auswärtigen Ausschuß
- den Vorsitzenden der Patriotischen Union Kurdistans, Jalal Talabani
- den Vorsitzenden der Demokratischen Partei Kurdistans, Massud Barzani
- die UN
- den UNHCR
- ausgewählte Medien zur Veröffentlichung und Kenntnisnahme
- interessierte Organisationen und Personen zur Kenntnisnahme und Unterstützung

Seit vier Jahren trägt das UN-Embargo maßgeblich zur Zerstörung der Lebensgrundlagen der Bevölkerung im Irak bei, während die Regierung Saddam Husseins in Bagdad sich davon unbeschadet an der Macht hält. Das innerirakische Embargo gegenüber den befreiten irakisch-kurdischen Gebieten und die repressive Grenzpolitik der Nachbarländer Türkei und Iran führten gleichzeitig zur vollständigen Zerrüttung der wirtschaftlichen und sozialen Situation und infolgedessen zu einer unaufhaltsamen Verelendung der Zivilbevölkerung.
Trotz der Einrichtung einer Alliierten- Schutzzone gibt es keinen international garantierten Schutz der irakisch-kurdischen Bevölkerung vor den permanenten Übergriffen und militärischen Aktionen irakischer, türkischer und iranischer Truppen. Diese Länder führen politisch, ökonomisch und militärisch einen unerklärten Krieg gegen Irakisch-Kurdistan, dem die Zivilbevölkerung und alle gesellschaftlichen Bereiche direkt ausgeliefert sind. Immer mehr irakische Kurden sehen keinen anderen Ausweg als vor diesen Verhältnissen zu fliehen.

Erst nach dem zweiten Golfkrieg, der sich gegen den von Staaten aus West und Ost aufgerüsteten Diktator Saddam Hussein richtete, wurde die Bedrohung der Kurden und Schiiten dafür benutzt, Politik und Anwesenheit der Alliierten im nachhinein zu rechtfertigen. Der Krieg ist Vergangenheit; nun zählt wieder das Wirtschaftspotential des Irak und das Land als Machtfaktor. Vergessen sind die Floskeln von "Menschenrechten" und "friedensschaffenden Maßnahmen".

Deshalb machen wir diese Regierungen und die UNO mit ihrer Politik gegenüber dem Irak und Irakisch-Kurdistan in erster Linie für den erneuten Ausbruch der Kämpfe verantwortlich: Sie haben den Kurden prinzipiell die von ihnen geforderte Eigenständigkeit innerhalb eines föderativen Systems verweigert; sie unterstützen die Völkermordpolitik des Iran und der Türkei; ihre Hilfspolitik zielt nur auf Nothilfe, nicht aber auf einen umfassenden Wiederaufbau; die selektive Durchführung der Maßnahmen ließ Machteliten wieder erstarken und zog ein Aufblühen der Klientelwirtschaft nach sich. Eine Stabilisierung der Region wurde so verhindert.

Seit dem 23.12.1994 sind erneut Kämpfe zwischen den beiden großen Parteien KDP und PUK ausgebrochen, die sich hauptsächlich auf die Hauptstadt Erbil und die umliegenden Regionen konzentrieren. Der Krieg produziert neue Flüchtlingsbewegungen in der Region und bewirkt durch den Zusammenbruch des Marktes eine weitere Verelendung der Zivilisten. Das in fast vierjähiger Eigenständigkeit Erreichte wird durch diesen Krieg ernsthaft bedroht.

Wir fordern die Parteiführer Barzani und Talabani auf, die Kämpfe sofort und bedingungslos einzustellen und sich unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Kräfte für eine dauerhafte Aussöhnung einzusetzen.

Wir erklären uns solidarisch mit den in Erbil für eine Friedenslösung streikenden Parlamentariern und mit der Friedensbewegung, die in den letzten Wochen durch Demonstrationen die Beendigung dieses sinnlosen Blutvergießens gefordert haben.


Die Versuche der deutschen, französischen, russischen und amerikanischen Regierung, das irakische Regime zu rehabilitieren, was sich unter anderem in wirtschaftlichen Verhandlungen und dem Abschluß von konkreten Verträgen äußert, bedeuten einen massiven internationalen Druck auf Kurdistan. Sie zielen darauf ab, die demokratische Entwicklung und Eigenständigkeit zu beenden. Die irakische Regierung nutzt diese Situation brutal aus. Entlang der innerirakischen Demarkationslinie wurden bereits wieder massiv irakische Truppenverbände zusammengezogen; erneut wurden Städte in Irakisch- Kurdistan bombardiert und beschossen, wobei es Tote und Verletzte gab.

Vor 7 Jahren benutzte die irakische Luftwaffe deutsches Giftgas, um Halabja zu bombardieren und tötete innerhalb weniger Minuten ca. 5000 Menschen.

Aufgrund dieser Verstrickung und der weiteren wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen der BRD im Irak fordern wir die Bundesregierung auf, den Vorsitz im UN- Sanktionsausschuß wieder abzugeben.

Wir fordern die Bundesregierung weiterhin auf, die kurdische Eigenständigkeit anzuerkennen und die föderativen Bestrebungen der Kurden zu unterstützen.

Wir fordern sie auf, die von ihr verursachten Schäden umstandslos wieder gutzumachen.
Wir verlangen, statt der bisherigen Nothilfe, die das bestehende Elend nur manifestiert, eine effektive bilaterale Aufbau- und Wirtschaftshilfe zu beginnen, die dem Ausmaß sozialer und materieller Zerstörung in Kurdistan gerecht wird.

Bundesdeutsche und internationale Hilfsorganisationen sind vielfältigen Behinderungen vor allem von Seiten der türkischen Behörden und Regierung ausgesetzt, die ihre Arbeit zunehmend in Frage stellen. Wir fordern die NGO`s auf, diese Behinderungen ihrer Arbeit öffentlich zu machen und von der Bundesregierung und der EU, die einen Großteil dieser Programme finanzieren, zu verlangen, daß sie Bedingungen für die Fortsetzung der Hilfe schaffen.

Wir fordern die NGO's auf, trotz der schwierigen Lage ihre Arbeit fortzusetzen und dabei zu versuchen, verstärkt Basisinitiativen und Projekte, die nicht von den Machtstrukturen der Parteien KDP und PUK profitieren, zu unterstützen.


Wir fordern die UNO auf, die Konsequenzen aus den Berichten der UN- Menschenrechtskommission, die den Völkermord in Nord- und Südirak nachgewiesen haben, zu ziehen.

Wir fordern die UNO auf, die kurdische Selbstverwaltung im Norden des Irak anzuerkennen und auf der vollständigen Erfüllung der Resolution 688 zu bestehen.

Die bis heute international nicht verurteilten Verbrechen des Saddam-Regimes, die mit Halabja und den Anfal-Offensiven 1988 einen grausamen Höhepunkt erreicht hatten, müssen als eine Voraussetzung dafür gesehen werden, daß in Nordkurdistan eine von den Medien und der Weltöffentlichkeit wenig beachtete Vernichtungsoffensive stattfinden kann, die die Lebensgrundlage der dortigen Bevölkerung zerstört.

Wir fordern den UNHCR auf, den Flüchtlingen aus Nordkurdistan, die vor der Verfolgung durch die türkische Armee nach Kurdistan-Irak geflohen sind, den offiziellen Flüchtlingsstatus zuzuerkennen und sie unter den ihnen zustehenden Schutz zu stellen. Desweiteren müssen die Forderungen dieser Flüchtlinge nach einer sicheren Rückkehr in ihre Heimatdörfer unter Garantie ihrer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Existenz erfüllt werden.



Solidaritätstreffen Kurdistan-Irak in Frankfurt am 14./15. Januar 1995


Unterzeichner: WADI e.V. Frankfurt; Kurdistan AG, AStA der FU Berlin; Genocide Watch Berlin; Kindernotbrücke Köln; Kahina Flüchtlingshilfe Leipzig; K.A.K.; KOMKAR; Vereinigung irakischer Studenten; einzelne Sympathisanten der PUK in der BRD; verschiedene kurdische und deutsche Einzelpersonen

Weitere Unterstützer: TERRE DES FEMMES e.V., Bremer Hilfe für Kurdistan, BUKO-Kampagne "Stoppt den Rüstungsexport"


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