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"Wir Alten müssen hierbleiben und die Sache bis zum Ende durchstehen..."

Resignation und Hoffnungslosigkeit herrschen vor in Irakisch-Kurdistan nach dem Bürgerkrieg des Sommers

Achmed ist mit seinen 58 Jahren ein Veteran des Kampfes der irakischen Kurden gegen das Bagdader Regime. Er überlebte die politische Arbeit in der Illegalität und erlebte des Zusammenbruch des kurdischen Widerstandes 1988, als der 'Anfal-Offensive' des irakischen Militärs annähernd 200.00 Kurden zum Opfer fielen. Nach dem Aufstand 1991, als sich Saddam Husseins Truppen aus dem größten Teil des kurdischen Gebietes des Iraks zurückzogen, hoffte er wie viele in dem völlig zerstörten Land auf einen Neuanfang. Nun schüttelt er resigniert den Kopf, fragt man nach der Zukunft Irakisch-Kurdistans. Noch vor einem Jahr spekulierte er über die Befreiung seiner Heimatstadt Kirkuk, dem nordirakischen Erdölzentrum, das 1991 vom irakischen Militär zurückerobert werden konnte. Jetzt ist davon keine Rede mehr. Tatsächlich waren die kurdischen Peshmergas in den Juli- und Augustwochen in heftige Kämpfe um eine Stadt verwicklet, doch diesesmal kämpften sie gegeneinander. Erfolglos versuchte die "Patriotische Union Kurdistans" (PUK) das von islamistischen Truppen gehaltene Hallabja, zu trauriger Berühmtheit gelangt durch einen Giftgasangriff des irakischen Militärs 1988, bei dem 5000 Menschen starben, einzunehmen. Seinen zwanzigjährigen Sohn hat Achmed mittlerweile außer Landes geschickt, bis Griechenland ist er schon gekommen und damit gehört er zu den Erfolgreichen. Für viele irakische Kurden ist die Türkei bereits die Endstation ihrer Flucht, Visa für die Weiterreise sind kaum zu bekommen. Der Vater ist trotzdem beruhigt seinen Sohn im Ausland zu wissen. "Wir Alten müssen hier bleiben und die Sache bis zum Ende durchstehen", erzählt er, "das ist unser Kampf. Für die Jungen aber gibt es hier keine Zukunft mehr. Dieser Traum ist vorbei."

Drei Jahre nach der Befreiung von Saddam Husseins Terrorherrschaft kreisen die Gedanken vieler irakischer Kurden um Flucht und Emigration. Vor allem die städtische Bevölkerung ist von der katastrophalen Wirtschaftslage in ihrer Existenz bedroht. Das UN-Embargo seit dem Sommer 1990, das für den gesamten Irak gilt, hat seine Wirkung nicht verfehlt. Während die Bauern in den von Hilfsorganisationen wieder aufgebauten Dörfern sich wenigstens selbst ernähren können, wird die Lage für die städtische Bevölkerung und die Menschen in den riesigen Lagern, den 'collectiv towns', in die Saddam Hussein die Bevökerung ganzer Landstriche zwangsweise umsiedelte, immer verzweifelter. In einem Land, in dem sich die Menschen vor dem Krieg tendenziell vom Entwicklungsstand eher den reicheren Golfstaaten zurechneten, verdient ein Lehrer nur noch umgerechnet 5 $ im Monat. Zu wenig zum Leben und jede Verlängerung des Emabargos schraubt den Umtauschkurs des Dollars zum Dinar und damit die Preise immer weiter nach oben.

Spätestens seit den innerkurdischen Kämpfen im Sommer, zwischen der "Demokratischen Partei Kurdistans" (KDP) auf der einen und der PUK auf der anderen Seite, haben die meisten Kurden die Hoffnung auf eine politische Zukunft der autonomen Kurdenregion verloren. Die Kämpfe haben das Land faktisch in vier Bereiche geteilt; den Norden, unter Herrschaft der KDP, den Süden unter Herrschaft der PUK, die Region um Hallabja unter Kontrolle der vom Iran unterstützten Islamisten und den Regierungssitz Erbil, wo keine der Parteien die Oberhand gewinne konnte. "Die Regierung hat wenig Einfluß. Sie ist ein Leiche, niemand nimmt sie ernst", charakterisiert ein kurdischer Journalist die Lage.

Zwar einigten sich die Parteiführer Barzani und Talabani bei den Friedensgesprächen in Paris, die Regierung auf Kosten der Parteiapparate zu stärken, aber viele Kurden fragen sich skeptisch, ob diese Vereinbarungen nicht zu spät kommen und inwieweit die Parteien tatsächlich willens, oder überhaupt in der Lage sind, Machtpositionen aufzugeben. Daß sich die Parteien überhaupt auf interne Machtkämpfe eingelassen haben, findet bei der Bevölkerung kaum Verständnis.

Bei einer Trauerfeier für einen in Hallabja getöteten Kämpfer der KDP herrscht unter den Trauergästen, darunter auch Mitglieder der PUK, wütende Einmütigkeit. "Das ist kein Bürgerkrieg, sondern ein Machtkampf unserer Führer. Das ist Wahnsinn, wir haben doch nicht Jahre gegen Saddam gekämpft, um uns jetz gegenseitig umzubringen". Gleichzeitig wächst auch von außen der Druck auf das Kurdengebiet. Diplomatische Missionen, wie die kaum beachtete Reise von Hans Sterken, MdB, CDU, vom Auswärtigen Ausschuß des Bundestages zu Sadam Hussein nach Baghdad, stärken die Position des Diktators. Auch die Türken haben deutlich gemacht, daß sie die gemeinsame Grenze zum Irak wieder von der irakischen Regierung kontrolliert sehen wollen. Anfang September schlossen die Türken kurzerhand ihre Seite der Grenze für Ausländer. Das gilt nicht nur für Journalisten oder politische Delegationen, auch die Mitarbeiter der internationalen Hilfsorganisationen sind betroffen. Der Weg über die Türkei ist unsere Lebensader, unser Zugang zur Außenwelt" Beschreibt Mohaamad Tofik, der kurdische Minister für humanitäre Angelegenheiten, die Situation, "davon sollen wir abgeschnitten werden. Wir brauchen soviele Ausländer und Hilfsorganisationen wie möglich in der Region. Sie sind Beobachter und Zeugen, für das was in der Region passiert."

Aber viele Kurden wollen nicht mehr abwarten und hoffen, daß die Anwesenheit einer Handvoll Ausländer ihnen Schutz bietet. Sie werden das Land verlassen.

Oliver Marc Piecha (Mitarbeiter der Hilfsorganisation wadi)
(Erschienen im 'Neuen Deutschland')

 


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