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Petrodollars für die Kurden

Das UN-Programm für den Irak zwingt Saddam Hussein zu einer Art Wiedergutmachung im Norden

"Oil For Food" ist die gängige Bezeichnung des UN-Programmes, das dem Irak seit anderthalb Jahren einen begrenzten Ölverkauf zugunsten humanitärer Programme erlaubt. Die dahinterstehende Resolution UNSCR 986, die angesichts der anhaltenden Auseinandersetzungen um die UN-Abrüstungskontrollkomission Unscom kaum beachtet wird, ermöglicht das größte zusammenhängende Hilfsprogramm, das die UN seit ihrem Bestehen in einem Land durchführen.

Erlaubt wird dem Irak unter Beibehaltung des Wirtschaftsembargos der Verkauf von Öl im Wert von fünf Milliarden US-Dollar pro Halbjahr. Damit reagierten die UN auf die enorme Verarmung der irakischen Bevölkerung - die mit dem 1990 in Kraft getretenen Vollembargo einsetzte -, ohne zugleich die Sanktionen gegen das irakische Regime aufzuheben. Verhindern wollen die UN so, daß Saddam Hussein ein neues militärisches Aufrüstungsprogramm startet.

Während im Zentral- und Südirak die irakische Regierung selbst unter Aufsicht der UN die Not der Bevölkerung lindern, aber auch langfristige infrastrukturelle Aufbaumaßnahmen durchführen soll, sind die UN im kurdisch kontrollierten Nordirak direkt für die Implementierung des Programms zuständig. Von der Gesamtsumme sind jeweils ca. 500 Millionen US-Dollar für den Norden bestimmt, bisher errreichten allerdings nur 300 Millionen die selbstverwalteten kurdischen Gebiete.

Seit nunmehr anderthalb Jahren, in denen das Programm läuft, ist der Irak also gezwungen, den Wiederaufbau der vormals völlig zerstörten kurdischen Gebiete mitzufinanzieren. Dörfer, die vor zehn Jahren während der sogenannten Anfal-Kampagne dem Erdboden gleichgemacht wurden, werden nun mit Petrodollars wiederaufgebaut. "Erstmals", so meint der Leiter einer kurdischen Hilfsorganisation, "profitieren wir wenigstens etwas von dem Ölreichtum des Landes."

Die der irakischen Regierung aufgezwungene Finanzierung des Wiederaufbaus der kurdischen Regionen kann implizit als "Wiedergutmachung" verstanden werden: Mit der Abkopplung vom humanitären Programm im restlichen Irak und einer getrennten Budgetierung haben die UN den faktischen Autonomiestatus der Region untermauert.

Vor allem die Verteilung von Grundnahrungsmitteln, die unter der Aufsicht der Welternährungsorganisation (WFP) durchgeführt wird, gilt als effektiv. Seit Beginn des 986-Programmes in den kurdischen Gebieten gilt die Subsistenz der Bevölkerung als gesichert.

Herrschte vorher besonders unter den "internal displaced persons", der ärmeren Stadtbevölkerung und jenen Gruppen, die nicht in ihre Dörfer zurückgesiedelt werden konnten, akute Nahrungsmittelknappheit, gilt dieses Problem vorläufig als gelöst. Für die nach wie vor zahlreichen vor Ort arbeitenden Nichtregierungsorganisationen (NGO) könnte dies die Chance bieten, ihre Kapazitäten auf einen langfristigen und substantiellen Wiederaufbau der Region zu lenken, anstatt in Nothilfeprojekten zu verharren.

Andere Maßnahmen allerdings werden von seiten nationaler und internationaler Hilfsorganisationen heftig kritisiert: Die UN arbeiteten zu langsam und bürokratisch. So würden etwa Programme im agrikulturellen Bereich, beim Wiederaufbau zerstörter Dörfer oder die landesweite Renovierung von Schulen zu langsam vorangehen und selten mehr als 30 Prozent der vorgesehenen Maßnahmen im anvisierten Zeitrahmen durchgeführt.

Besonders für lokale und internationale Hilfsorganisationen wirkt sich 986 oft negativ aus, sind doch die vormaligen Geldgeber für das humanitäre Programm, das seit 1991 duchgeführt wird, weggefallen: die US-Regierung und die EU. Diese, so wird kritisiert, seien bei der Geldvergabe wesentlich unbürokratischer gewesen und hätten effektivere Arbeit geleistet.

Vergessen wird dabei gerne, daß die UN alle bestehenden Programme mehr oder weniger gegen den Willen der irakischen Regierung hat durchsetzen müssen. Diese hat wenig Interesse an einem erfolgreichen Verlauf der Maßnahmen, da sie auf die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen hinarbeitet.

Würde sich im Gesamtirak das 986-Programm als effektives Mittel zur Hilfe für die Zivilbevölkerung erweisen, fiele das Hauptargument der Regierung, die Not der Bevölkerung, weg. An einem nachhaltigen Aufbau der kurdischen Gebiete hat die irakische Regierung noch weniger Interesse, wird doch damit systematisch seit nunmehr sieben Jahren versucht, die Resultate der irakischen Politik der verbrannten Erde rückgängig zu machen. So verwundert es nicht, daß Bagdad alles daran setzt, das Programm zu verschleppen. Für die sogenannte Phase 5 des Programmes, die im November starten soll, fehlt bis heute die Zustimmung des Irak.

Sollte Saddam die weiterhin verweigern, wäre das ganze Programm in Frage gestellt - die Folgen wären katastrophal. Denn so wirkungsvoll die Implementierung der Resolution 986 für die kurdischen Gebiete derzeit ist, sie droht dennoch zugleich jene Abhängigkeit der Kurden von ihren Geldgebern zu vertiefen, die in den vergangenen Jahren zu einer vollständigen politischen und sozialen Paralysierung der Region geführt hat. Sollte das Programm gestoppt werden, so wären die verbliebenen NGOs nicht in der Lage, auch nur einen kleinen Teil der Versorgung wirkungsvoll zu übernehmen. Hier zeigt sich die Hauptschwäche des Programmes: Seine Durchführung hängt direkt von der Bereitschaft Husseins ab, das Oil For Food-Programm weiter mitzutragen.

So viele Fehler und Schwächen 986 auch aufweist, es besteht zur Zeit keine einzige tragfähige Alternative für die kurdischen Gebiete. Laute Kritik an der Arbeit der UN im Nordirak wird von vielen Seiten geäußert. Eine Kritik, die in Bagdad auf offene Ohren stieß und das Außenministerium umgehend veranlaßte, einen Brief an den UN-Generalsekretär Kofi Annan zu schreiben. Da selbst die UN einsehe, so der Inhalt, daß sie im Nordirak ohne Regierungskontrolle nicht effektiv arbeiten könne (die beiden kurdischen Parteien KDP und PUK, die das Gebiet kontrollieren, das seit internen Parteienkämpfen zwischen ihnen aufgeteilt ist, werden von Bagdad als anarchische Banden und Spione der USA diffamiert), sei es von daher nur billig, ihr, der irakischen Regierung, diese Aufgabe zu übertragen.

Daß derlei Offerten des irakischen Regimes in jüngster Zeit verbunden sind mit der Weigerung, den Kontrollaufträgen im Rahmen des Abrüstungsprogrammes nachzukommen, verweist auf ein grundlegendes Dilemma der UN-Politik im Irak. Alle Programme und Resolutionen seit 1991 stellen lediglich Modifikationen des UNSCR 688 dar. Deren zentrale Forderung - vollständige Abrüstung irakischer B- und C-Waffen sowie die Zerstörung von Langstreckenwaffen und deren Komponenten - ist durch keine neuere Resolution außer Kraft gesetzt worden. Vorstöße in dieser Richtung wurden bislang erfolgreich von der US-amerikanischen und der britischen Regierung verhindert.

Die ursprüngliche Resolution 688 rechtfertigte nicht nur den militärischen Eingriff 1991, sondern die dauerhafte Kontrolle des Irak, die zum Zeitpunkt der Beschlußfassung die Interessen der an der Anti-Irak-Koalition beteiligten Staaten widerspiegelte. Diese haben sich zwischenzeitlich verschoben. Im Zuge des schwindenden US-Engagements im Nahen Osten und einhergehend mit der Wiederbelebung außenpolitischer Beziehungen Frankreichs zum Irak ist die einstige Zweckkoalition längst zerbrochen. Frankreich profitiert nicht unbeträchtlich davon, daß die US-Hegemonie nicht zuletzt durch den gescheiterten Friedensprozeß an Boden (und Rechtfertigung) verliert. Während das einstige stabilisierende Element der Region, Israel, unter Benjamin Netanjahu zu einem Risikofaktor geworden ist, konnte sich das einst wegen der Unterstützung anti-israelischer Terrorgruppen international diskreditierte syrische Regime politisch und ökonomisch konsolidieren.

Erst Mitte August unterzeichneten die ehemals verfeindeten Baath-Regierungen Syriens und des Irak ein Abkommen über eine Ölpipeline, dessen Umfang vorsichtig auf etwa 200 bis 300 Millionen US-Dollar geschätzt wird. Nahezu zeitgleich wurde Syriens Diktator Assad als Staatsgast in Paris empfangen. Das US-amerikanische Festhalten an der Fortsetzung der Unscom-Mission ist weniger der Einsicht in die Gefährlichkeit irakischer Waffen geschuldet als vielmehr der Tatsache, daß ein jahrzehntelang als US-amerikanisch angesehenes Terrain nach und nach von der Konkurrenz erobert wird.

 

Thomas von der Osten Sacken / Thomas Uwer, WADI e.V.

erschienen am 30.09.98 in der "Jungle World"

 


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